Rosensamstag

No. 01/2012

Exklusiv für Fresko schnuppert Harry Kämmerers legendärer Kriminaler Hummel in der brandaktuellen Ausstellung der Pinakothek der Moderne Frühlingsluft.

Buchcover

Buchcover

Eine richtige Granate, die „Schöne Münchnerin“. Schon auf ihren Jugendfotos. Da sogar noch schöner – natürlicher. Auch egal. Jetzt tot in ihrem Schwabinger Appartement. Ermittlungen im Münchner Modelmilieu – zwischen Faszination und Geisterbahn. Ja, warum lassen die sich alle operieren? Fragt sich Kriminalkommissar Klaus Hummel. Er geht die Theresienstraße entlang und überlegt. Er versteht die Frauen nicht. Auch Beate, die ihn immer wieder hinhält. Tja, muss er sich eben mal anderswo umschauen. Als seine neue Facebook-Bekanntschaft „Isar-Lady“ ein Treffen vorschlug, hat er nicht gezögert. Wie sie wohl aussieht? Auf ihrem Profilfoto war nur ein Viertel des Gesichts zu sehen. Und lange blonde Haare. Auf dem Profilfoto von „Da Hummel“ lugen aber auch nur die Augen hinter der Plattenhülle von Marvin Gayes Let’s get it on hervor. Wenn sich „Isar-Lady“ mit ihm treffen will, mag sie Soul. Schon mal gut. Und interessiert sich für Kunst, denn ihr Treffpunkt ist die Pinakothek der Moderne. Frauen-Ausstellung. Schöne Frauen – momentan Hummels Thema. Er interessiert sich natürlich vor allem für echte Schönheit. Und die kommt ja von innen. Für den Fall, dass nicht einmal diese bei „Isar-Lady“ zu finden ist, hat er das vereinbarte Erkennungszeichen, eine kleine rote Rose, vorerst in der Sakkotasche geparkt. Erstmal Lage checken, damit er notfalls noch diskret den Rückzug antreten kann.

‚Wenn sie das nicht mal genauso macht‘, denkt er, als er die Rotunde betritt. Eine halbe Stunde zu früh. Noch schnell die Ausstellung ansehen, um später beim gemeinsamen Rundgang glänzen zu können. Im Ausstellungsflyer steht: „Unabhängig von Picasso, Beckmann und de Kooning gemeinhin angehängten Klischees geht ihre künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Frau weit über einseitige Festlegungen hinaus. Sie sind nicht lediglich Projektionsfläche männlicher Sehnsüchte, Leidenschaften und Begierden.“ Ja, so sieht Hummel das auch. Er überlegt, wie er das eben Gelesene geschickt in eigene Worte kleidet. Doch so weit kommt es nicht. Als er den ersten Saal betritt, sieht er sie. An ihrem Sportblazer blinkt die rote Blüte! Wow! Die dunklen Haare irritieren ihn. Gefärbt? Die hohen Wangenknochen, das filigrane Kinn, doch, das könnte sie sein. Er fischt gerade seine Blume aus der Sakkotasche, als eine zweite Frau den Saal betritt. Blond, glatte, lange Haare und: rote Rose am Dekolletee! Das muss „Isar-Lady“ sein! Oder? Hummel ist verwirrt. Er verschwindet im Nachbarsaal, um sich zu sammeln. Ein dummer Zufall? Wie soll er jetzt die Richtige finden? Einfach ansprechen? Ach, ist ja ganz einfach: Sie muss ihn finden! Er grinst und steckt seine Rose an. Todesmutig betritt er den Saal. Der plötzlich nicht mehr so luftig ist, sondern voller … Frauen! Und alle tragen rote Rosen! An Blazern, Blusen, Tüchern, Kleidern. Mindestens 30 Frauen! Hat er auf Facebook einen falschen Button gedrückt? Sind sämtliche Münchner Singlefrauen hier, um den einsamen Kriminaler zu treffen? Er rennt aus dem Saal. Im Museumscafé versenkt er die Blume im Mülleimer und bestellt einen Schnaps.

Harry Kämmerer © Christian M. Weiß

Harry Kämmerer © Christian M. Weiß

Die Frau am Nachbartisch sticht ihm ins Auge. Oder besser: ins Ohr. Sie telefoniert gerade: „Ja, und wann kommt das Ersatzteil? Oh, das wäre toll. Wiederhören.“ Hummel lächelt. Wie sie „Erssaszzzteil“ gesagt hat – sehr erotisch. Wie die Zündschnur einer Dynamitstange. Die Frau sieht auf die Uhr und steht auf. Dreht sich um. Anfang dreißig. Blonder Pony unter der Mütze. Genau sein Typ. Sie sieht nochmal auf die Uhr. Enttäuschung in ihrem Gesicht. Hummel schluckt. Eine Rose! An ihrer Jeansjacke. Die Frau verschwindet ins Museum. Na, und? Denkt Hummel, schüttelt den Kopf und geht zur Garderobe, seinen Mantel holen. An einer Säule sieht er jetzt ein Plakat: „Die VERDI-Frauengruppe lädt zur Sonderführung ein.“ Als solidarischer Gruß ist eine rote Nelke abgebildet. Gewerkschaftsausflug, Nelke – nicht Rose! Hummel lacht. Einen Moment nur. Die Frau von eben, das war keine Nelke! Definitiv! Hinterher! Als der Wärter Hummel abweist, weil er sein Ticket nicht mehr findet, zückt er den Dienstausweis – „Kripo, ich ermittle!“ – und stürmt in die Ausstellung.

Nach erfolgloser Suche tritt Hummel vors Museum und muss lachen. Das ist die Rache dafür, dass er im Internet auf Brautschau geht. Eigentlich will er doch gar keine andere als Beate! Er wird sie nachher anrufen und was Nettes sagen. Vielleicht was über den Frühling, dessen sanfte, frische Luft er jetzt tief einatmet. Die Sonne knallt über dem Museumsviertel, das Laub der Bäume glänzt froschgrün, zwei Hunde tollen über die Wiese. Als die 27er-Tram kommt, steigt er spontan ein. Erssaszzzteil … Gedankenblitz: die Nase ihres Todesopfers! Die auf den alten Fotos so anders aussah! Er greift zum Handy und ruft Dr. Fleischer an, die Rechtsmedizinerin. Nur die Mailbox. „Servus, Gesine, da ist der Hummel. Ich weiß, es ist Samstag, aber schau dir noch mal die Nase von der toten Frau an. Ob die echt ist, ob es ihre ist. Ich hab da so ’nen Verdacht. DNA-Test wär super.“ Als er auflegt, sieht er in die verdutzten Gesichter seiner Mitfahrer. Er steigt aus, überquert die Straße und taucht ab in die schummrige Wärme des Schelling Salons. Ja, Kommissar Klaus Hummel hat einen guten Riecher. Tatsächlich trägt das tote Model eine fremde Nase im Gesicht. Auf Hummel und seine Kollegen wartet ein Parforceritt durch die abgründige Welt der Schönheitschirurgie …

kaemmerer_cover-final
Nach dem Erfolgsroman Isartod neu erschienen: 
Die schöne Münchnerin
von Harry Kämmerer
Graf Verlag € 14,99