Fresko-Kunsträtsel

No. 04/2013

WER BIN ICH?

Meine Autobiografie, die ich Anfang des 20. Jahrhunderts für eine kleine Monografie über mich und mein Werk verfasste, endet mit den Worten: „Vorläufig trübe Aussichten“. Dabei war ich zu dieser Zeit gerade mit dem Leben davongekommen, hatte geheiratet und konnte meine Arbeit endlich wieder aufnehmen. Ich war voller Schaffensfreude, hatte jedoch Fernweh nach Afrika oder Südamerika, um dort die Sonne zu malen. Die Chancen, dies in absehbarer Zeit verwirklichen zu können, waren jedoch bei Lichte betrachtet – trübe. Und um es vorweg zu nehmen: Ich war nie dort. Nicht in Afrika, nicht in Südamerika. Meine Idee, die Sonne nicht nur indirekt, sondern als eigenständiges Objekt zu malen, kam mir während eines halbjährigen Aufenthaltes in München. Der blaue Sonnenhimmel und das glühende Orange auf den Kornfeldern ließen „mein Auge erwachen“, wie ich mich damals etwas pathetisch ausdrückte. Ich war gerade einmal 20 Jahre alt.

Enttäuscht und verärgert über den akademischen Betrieb hatte ich mich von Berlin für ein paar Monate nach München zurückgezogen. Gut, ich verpasste dadurch die deutsche Uraufführung der Sprudelfee in Berlin, aber wahrscheinlich wäre ich ohnehin nicht ins Theater gegangen, denn ich habe es immer vorgezogen, in der Natur zu sein, als mich in geschlossenen Räumen aufzuhalten. Dies spiegelt sich auch in meinen farbgewaltigen Bildern mit den Sonnenuntergängen, Vulkanen und anderen Naturgewalten wider. Im Anschluss an die eher kontemplative als arbeitsame Zeit in München musste ich meinen Militärdienst ableisten, danach aber begann endlich das, was man gemeinhin als Karriere bezeichnet. Ich beteiligte mich an Ausstellungen, die von den jungen, wilden Künstlern dominiert wurden, verkaufte die ersten Bilder und wurde ein anerkannter Künstler. Meine Bilder wurden zeitweise sogar höher gehandelt als die meiner Kollegen. Diese sind heute weltberühmt, ihre Werke unbezahlbar, während meinen Namen kaum noch jemand kennt – dabei habe ich sie alle überlebt.

Der große Einschnitt in meinem Leben, um nicht zu sagen, das Ende meiner hoffnungsvollen Karriere, fand statt, als meine Bilder als „entartet“ bezeichnet wurden, und meine verbliebenen Werke wenige Jahre später bei einem Bombenangriff in meinem Atelier zerstört wurden. In den Kriegswirren ging alles verloren. Alles? Vielleicht hat das eine oder andere Werk in einer Schwabinger Wohnung überlebt, wer weiß.

In den folgenden Jahren unternahm ich Studienreisen, arbeitete weiter als Künstler, wirkte jedoch eher im Stillen. Ob ich Jahre nach meinem Tod endlich die Anerkennung für mein Werk finde, die ich eigentlich verdiente? Wie gesagt: vorläufig trübe Aussichten.

Wer bin ich?

– Wer bin ich? – 

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Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 3/2013: François de Cuvilliés d. Ä. (1695–1768)