Fresko-Kunsträtsel

No. 04/2014

WER BIN ICH?

Mein einziges Kind, das ich abgöttisch liebte und dessen Sorgerecht ich mir vor Gericht erstritten hatte, lebte nach meinem Tod noch etwa 30 Jahre in unserem Haus. Wo früher glanzvolle Feste gefeiert wurden, herrschte nun gespenstische Düsternis. Geistig verwirrt und von erschreckender Gestalt soll meine Tochter zwischen meinem künstlerischen Nachlass mehr gehaust als gewohnt haben – sagt man. Was die Leute eben so erzählen. Ich habe nie viel geredet. Zeitgenossen attestierten mir „nieder- bayerische Schweigsamkeit“, bei meinen Studenten galt ich als distanziert und wortkarg. Aber auch wenn einige von ihnen mir „mangelnde Erneuerungskraft“ in meiner Kunst vorwarfen und meine Kurse verließen, so schätzten doch die meisten die künstlerische Freiheit, die ich ihnen einräumte. Mein Talent bahnte sich früh – ich konnte kaum laufen – in Form von Kreidezeichnungen auf dem Fußboden seinen Weg.

Meine Eltern, einfache Handwerker, erlaubten mir, eine Lehre als Gebrauchsgrafiker zu beginnen und eine akademische Ausbildung anzuschließen. Nachdem ich mit Karikaturen und Plakatentwürfen mein erstes Geld verdient hatte, wandte ich mich der Malerei zu. Eine goldrichtige Entscheidung. Mein Hang zum Ungewöhnlichen und Skandalösen brachte mich und meine Bilder bald in aller Munde. Besucher pilgerten zu meinen freizügigen Werken, Menschen bekreuzigten sich angesichts des Ungeheuerlichen, Gemälde wurden auf polizeiliche Anordnung aus dem Schaufenster einer Kunsthandlung entfernt. Es wurde schick, sich von mir porträtieren zu lassen. Bereits mit Ende 20 war ich ein gemachter Mann, mit 30 wurde ich Professor und mit guten 40 zum Ritter geschlagen. Wie ging es weiter mit mir? Mit 50 grüßte ich noch huldvoll den Gratulanten vom Balkon meines Hauses entgegen, doch da war mein Stern schon am Sinken. Manche behaupteten, ich malte zu dieser Zeit nicht mehr, dabei arbeitete ich den ganzen Tag. Nur war ich der Meinung, die jungen Künstler hatten es eher nötig, gesehen und verkauft zu werden, mein Feld war bestellt, mein Ruhm gesichert. Dachte ich.

Wer bin ich?

– Wer bin ich? –

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Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 3/2014: Adolf Erbslöh (1881–1947)