Höllenritt

No. 01/2015

Von Kurt Haderer

Italienische Motorrad-Stoßtrupps im Ersten Weltkrieg, Molotov-Cocktails schleudernde Rote Brigadisten, faschistische Futuristen und stalinistische Konzeptkünstler, aufgekratzte New Yorker und überdrüssige Römer, Motorradverrückte und Kunstentrückte. Rachel Kushner erzählt in ihrem zweiten Roman Flammenwerfer von Typen, die im Extremen leben und leicht entflammbar für Subversives sind.

Reno, die Protagonistin, ist eine hübsche, junge Künstlerin und verwegene Schi- und Motorradfahrerin aus Nevada. Im New York der 70er Jahre verliebt sie sich in Sandro, einen zwölf Jahre älteren Künstler und Spross eines italienischen Motorrad- und Reifenfabrikanten mit dunkler Familiengeschichte. Sie bereist mit ihm Italien und erfährt bei einem Straßenkampf, wie aus politischer Theorie blutiger Ernst wird.

Die 1968 in Los Angeles geborene Kushner war schon zweimal für den National Book Award nominiert. Kein Wunder, denn sie versteht ihr Handwerk. Immer wieder wechselt sie gekonnt die Erzählperspektive, baut Rückblenden ein, schildert einfühlsam. Und sie lässt glaubwürdige Figuren auftreten, die den Plot anschieben. Wie zum Beispiel Henri-Jean, der mit einer Stange auf seinen Schultern – „sein Markenzeichen“ – in New York unterwegs ist und durchaus wahrgenommen wird: „Geht zu Ausstellungseröffnungen, knallt sie den Leuten aus Versehen an den Kopf.“

Die Bilder in Kushners Kopf kommen ohne Effekthascherei daher. Mit ihr, einer passionierten Motorradfahrerin, tauchen wir en passant in die Faszination der Geschwindigkeit ein. „Ich fuhr 190. Dann 200. Mir schien, als nähme ich jedes Körnchen Zeit wahr. Jedes Körnchen war Zeit, das eine relevante Bild zwischen den anderen Momentbildern, vorher oder nachher, die unbeachtet verloren gingen. Ich wusste nur von meiner Hand am Gasgriff, dem prickelnden Gefühl in meinen Fingern …“ Vorsicht, werte Leser! Auf der Überholspur ist ein mit hoher Oktanzahl geschriebener Roman unterwegs.

Flammenwerfer 
Von Rachel Kushner
Aus dem Englischen übersetzt von Bettina Abarbanell
560 Seiten, gebunden Rowohlt € 22,95