Grenzland der Kunst?

Künstlerische Freiheiten der Xicanx-Kultur

No. 04/2023

Der von der feministischen Autorin Gloria Anzaldúa geprägte Begriff des „border land“, beschreibt in seiner räumlichen Symbolik die vielfältige Erfahrung von Unterdrückung und Ausgrenzung von Menschen of Color, auch in der Kunst. Mit Xican-a.o.x. Body konzipiert die American Federation of Arts (AFA) erstmalig eine Wanderausstellung durch die USA mit einer ersten Station in Riverside, die sich künstlerisch über den Körper als Erfahrungs- und Ausdrucksmittel dieser Ungleichheiten mexikanisch-amerikanischer und Xicanx-Kultur widmet.

Justin Favela, Gypsy Rose Piñata (II), 2022 © Justin Favela, American Federation of Arts

Liminalität, (Dis)kontinuität, Grenzverwischung und Transformation: Entlang dieses roten Begriffsfadens nähert sich die Ausstellung und eine sie begleitende, essayistische Publikation einem differenzierten Verständnis von Kunst und Kultur der Xicanx, wie die genderneutrale Bezeichnung für Menschen mit mexikanischen Wurzeln in den sogenannten USA lautet. Vielfach und systematisch aus dem Blickfeld der „hohen“ Kunst gehalten, stellt sich Xican-a.o.x. Body als multidisziplinäres Projekt in die Tradition politischer Kämpfe und Konzepte des Chicano Movement seit den 1960er Jahren und zentriert dabei experimentelle Werke, die die Forderung nach Selbstbestimmung, die Anerkennung indigener Wurzeln sowie ein fluides Verständnis von Identität zur Grundlage nehmen. Über den Körper als physischen Ausgangspunkt politischer Handlungsfähigkeit und Imagination, künstlerischer Forschung, antikolonialer Kämpfe und alternativer Formen von Gemeinschaft wird dabei jegliche normierende Grenze verwischt: Fotografien, Malerei, Druckgrafiken, Performance, Film und Video, Poesie und Installationskunst spielen in ihrer Experimentalität ebenso mit etablierten Kunstkategorien, wie mit normierenden Vorstellungen und Trennungen zwischen „gutem“ versus „schlechtem“ Geschmack oder „vernakulärer“ versus „hoher“ Kunst. Die kreative Auslegung anderer Formen von Glamour und Ästhetik, deren Verbindung mit dekolonialer Politik und das Aufgreifen sexueller Identitäten jenseits konstruierter Binaritäten lässt sich dabei auch als auflehnender Akt gegen die kunstinstitutionellen Ausschlüsse in Bezug auf Klasse, „Rasse“ und Geschlecht lesen. Xican-a.o.x Body versucht also nicht, sich an die Grenzen einer weiß dominierten Kunstwelt anzudocken, sondern glänzt im Gegenteil: Kunst und Künstler*innen operieren außerhalb institutioneller Rahmungen und gesellschaftlicher Zuschreibungen und eignen sich so ihre künstlerische Freiheit an. sg

Xican-a.o.x. Body
Bis 1. Januar 2024
The Cheech Marin Center for Chicano Art & Culture of the Riverside Art Museum 
Text: Englisch
208 Seiten, 225 Abbildungen in Farbe
Premiumausgabe: Veredelter Einband, Kunstdruckpapier, LED-UV-Druck 

Hirmer Verlag € 58,–