Bewegte Realitäten

Das Mädchen und seine Rollenbilder

No. 02/2025

Wer ist „das Mädchen“ – und wer darf es sein? Zwischen Andacht und Aufbegehren, zwischen Tafelbild und TikTok verhandelt die Publikation Mädchen* sein!? jene Bilder, Zuschreibungen und Selbstentwürfe, die das weibliche Werden seit Jahrhunderten prägen. Die Ausstellung im Linzer Lentos Kunstmuseum zeigt, wie starre Rollenbilder immer wieder neu entworfen, aber auch unterlaufen werden.

Dwora Fried, Big Red Riding Hood, 2018, Privatbesitz, © Dwora Fried

Der Band führt durch die Kunstgeschichte, die zugleich Spiegel gesellschaftlicher Erwartung ist. Mädchen und Frauen erscheinen auf Leinwänden unschuldig, ergeben oder ermahnend – selten jedoch selbstbestimmt. Die Macht dieser Bilder zeigt sich in ihrer Nachwirkung: Sie haben Generationen geprägt, teils bis heute. Sei es die Statue der Heiligen Wilgefortis (spätes 17. Jh.), die wie Christus ans Kreuz geschlagen wurde, oder Johann Baptist Reiters Porträt seiner Tochter Lexi mit Trompete (1866) als kleine Erwachsene – die Werke sind Zeugnisse ihrer Zeit, ihrer Normen und Blickwinkel.

Der gleichnamige Ausstellungskatalog belässt es nicht bei der Rückschau. Zwischen Texten und Bildern entfaltet sich ein Spannungsfeld, das in der digitalen Sphäre besonders ausgeprägt ist. Neuere Arbeiten spiegeln multiple Themen ihrer Gegenwart. So zeigt etwa Isa Schieches Dirty Care (2024) den Versuch, sich gegen körperliche Angriffe zu wehren – ein Sinnbild für den Schutz gegen das Patriarchat. Bewegte Bilder werden heute zu einem bevorzugten Ausdrucksmittel, das auch die Hirmer AR App einlöst, indem sie das Leseerlebnis um Video-, Animations- und Audioinhalte erweitert.

Mädchen* sein!? lebt jedoch nicht nur von den Werken, sondern auch von Essays und Interviews – etwa Gesprächen mit jungen Frauen über Identität oder einem Auszug aus dem Buch Mädchen der Autorin und Künstlerin Teresa Präauer. Besonders stark ist die Gegenüberstellung von Tradition und zeitgenössischen Positionen, die mit Ironie, Widerständigkeit und Vielschichtigkeit arbeiten. Hier zeigt sich, wie Mädchen* – das Sternchen markiert bewusst Vielfalt – ihre Rollen zurückerobern, indem sie sie spielerisch fragmentieren. Plattformen wie Instagram oder TikTok eröffnen neue Räume der Selbstinszenierung, erzeugen jedoch auch Druck. Der Band fragt: Wo beginnt Selbstermächtigung, wo kippt sie in Selbstoptimierung? Ausstellung wie Buch laden dazu ein, vertraute Bilder neu zu sehen – und das Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbstentwurf kritisch auszuleuchten. la

Mädchen* sein?!
Vom Tafelbild zu Social Media
31. Oktober 2025 bis 6. April 2026
Lentos Kunstmuseum Linz
Katalog zur Ausstellung
Hirmer Verlag € 38,–
mit Hirmer Augmented-Reality-App für iOS und Android