Schachmatt dem Mattenschach?

No. 02/2013

Von Kurt Haderer

Das Spektakel, das die Athleten aus den USA, dem Iran und Russland als „Achse des Guten“ in der Grand Central Station in New York am 16. Mai 2013 geboten haben, muss die Herren der Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees ordentlich wachgerüttelt haben.

Zwei sich belauernde Ringer, Preisamphora für einen Sieger bei den Kampfspielen von Athen, um 510 v. Chr © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, Foto: Renate Kühling

Zwei sich belauernde Ringer, Preisamphora für einen Sieger bei den Kampfspielen von Athen, um 510 v. Chr © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, Foto: Renate Kühling

Nach ihrer umstrittenen Empfehlung, das Ringen von 2020 an aus dem olympischen Programm zu streichen, hat die Exekutive in St. Petersburg beschlossen, die Gründungssportart der Spiele zusammen mit Baseball/Softball und Squash auf die so genannte Shortlist zu setzen. Am 8. September diesen Jahres wird dann in Buenos Aires endgültig entschieden, ob Ringen seinen Olympia-Status behalten darf. Naheliegende Wortspiele drängen sich förmlich auf, um den bevorstehenden Kampf zu beschreiben. Geht es doch in den nächsten Wochen zuerst einmal um das Ringen um Argumente, um das Ringen zwischen dem IOC und den Medien, um das Ringen der Lobbyisten miteinander und letztendlich auch um das Ringen um Respekt. Die wahrscheinlich älteste Sportart – Ringerschulen sind schon seit 3000 v. Chr. in China bekannt – muss aufpassen, nicht von Trendsportarten wie Wakeboarden, Wushu oder Rollschuhsport marginalisiert zu werden.

Natürlich sind Ringer und Ringerinnen nicht Catwalk-kompatibel. Fotogen sind die Herren auch nicht besonders, da sie oft mit „Blumenkohlohren“ gezeichnet sind. Und der Geruch, der einem in der Ringerhalle entgegenwabert, ist alles andere als einladend. Die Athleten nun aber wie in der Antike gegeneinander antreten zulassen – nämlich nackt – würde zu weit führen. Karl Lagerfeld könnte den Ringersport mit einer aufsehenerregenden Couture sicherlich wieder ins Rampenlicht führen. Wilfried Dietrich ist dies übrigens 1972 bei den Olympischen Spielen in München mit dem „Griff des Jahrhunderts“, einer Oberarm-Souplesse, gelungen. Beim Kampf um Gold warf der „Kran von Schifferstadt“ den schier unbezwingbaren zwei Meter großen und 200 Kilo schweren Amerikaner Taylor mit einem Überwurf auf die Schultern. Man stelle sich nur mal vor, den Eichenschrank der Großeltern über den Teppich zu schieben. Dies käme ungefähr dem Widerstand gleich, den Taylor damals Dietrich entgegengebracht hatte. Und den Schrank dann auch noch – mit Fernseher und Stereoanlage – über den Kopf nach hinten zu werfen. Chapeau! Für das Ringen braucht es aber nicht nur Kraft, sondern auch eine gute Kondition, Schnelligkeit und vor allem eine exzellente Grifftechnik. Aber nicht zuletzt das Vorhersehen und bewusste Herbeiführen von gegnerischen Aktionen, weswegen man ja auch den Sport als „Schach auf der Matte“ bezeichnet, ist entscheidend, um als glanzvoller Sieger aus der Halle zu gehen.

John Irving, der „moderne Charles Dickens“ (New York Times), übte den Ringersport zwanzig Jahre lang professionell aus. Für den Schriftsteller sind Strategie und das stete Wiederholen der Griff e beim Training mitunter die Voraus setzung für einen siegreichen Kampf. Hierbei habe er gelernt, Realitätssinn und Fantasie erfolgreich zu vereinen. Und so hat es Irving geschaff t, 13 Romane zu schreiben – darunter sein Welterfolg The World according to Garp – die in 35 Sprachen übersetzt wurden. Zieht man die Parallele, so besitzt das Ringen also genügend Rüstzeug, um bei den Olympischen Spielen 2020 auf der Matte zu stehen. Doch die Entscheidungsfindungen des IOC waren schon immer subjektiv geprägt – deshalb wäre „Jede anderslautende Entscheidung … eine Schulterniederlage für den olympischen Gedanken.“ (Alexander Leipold)