Yongbo Zhao

Eines chinesischen Malers Reise nach dem Westen

No. 02/2012

Die Pendler zwischen Krailling und München kennen ihn, manche stoßen sich an und flüstern: „Still, Yongbo zeichnet!“ Der chinesische Maler Yongbo Zhao lässt keine Minute in der S-Bahn un genutzt verstreichen, wenn er zwischen seinem Wohnort und seinem Münchner Atelier in der Domagkstraße unterwegs ist. Zahllose Skizzen und Vorstudien für seine riesigen Gemälde sind auf diese Weise schon entstanden. Mit einem Koffer voller Kunstbücher erreichte 1991 Yongbo Zhao nach einer abenteuerlichen Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn Deutschland. In seiner Heimat bereits als Jungkünstler gefeiert, begann er in München wieder ganz von vorn und schuf in der Manier der Alten Meister ein Werk voll Sarkasmus und anarchischem Humor. Mit großem Spürsinn schildert der Schriftsteller und Sinologe Tilman Spengler die Anfänge des weltweit anerkannten Künstlers, der je nach politischen Umständen dem Kapitalismus oder Sozialismus „die Fratze vom Gesicht zieht“.

Von Tilman Spengler

„Ich habe immer Schweineglück gehabt!“ Wenn Chinesen ein wenig Glück haben, kommen sie im Jahr des Drachen auf die Welt. Das wissen alle Geister. Wer in diesem Sternzeichen geboren wird, darf für sich in Anspruch nehmen, die Attribute eines Kaisers zu tragen: energiegeladen, willensstark und exzentrisch, um nur drei Merkmale zu nennen. 1964 war im chinesischen Mondkalender, der nicht der des Standesamtes ist, ein Jahr des Drachen. Die Behörden sind modern und richten sich nicht nach dem Mondkalender. 1964 war übrigens auch das Jahr, in dem Zhao Yongbo geboren wurde. In eben jenem Hailong, in dem viele Bewohner eine Beziehung zu guten Geistern für ausgeschlossen hielten, weil die Kommunisten derlei Beziehungen verboten hatten. Die Mutter von Yongbo hielt zu den guten Geistern und ließ auf dem Registeramt der Stadt den Geburtstag ihres Sohnes so eintragen, dass der Säugling zum Drachen wurde. Wenn sie dabei geflunkert hat, haben ihr die Geister das längst verziehen.

Yongbo Zhao in seinem Münchner Atelier, 2012 © Anne Funck, München

Yongbo Zhao in seinem Münchner Atelier, 2012 © Anne Funck, München

1964 feierte die Volksrepublik China ihr 15-jähriges Bestehen. Im Herbst wurde die erste Atombombe des Landes gezündet, kurz davor hatte Parteichef Mao Zedong verkündet, die UdSSR habe sich dem Kapitalismus ergeben. Die chinesische Wirtschaft kämpfte noch immer mit den Folgen der Politik des „Großen Sprung vorwärts“, einer radikalen Variante des Sozialismus, die das Land nach sehr vorsichtigen Schätzungen 30 Millionen Hungertote gekostet hatte. „Schweineglück, ich habe immer Schweineglück gehabt“, sagt Zhao Yongbo, wenn das Gespräch auf die Zeitläufte seiner Geburt kommt. Geholfen hat auch die Mutter. Sie setzt sich dafür ein, dass in der Schule als Berufsziel für den kleinen Yongbo die Zeichen für „Schreiner“ eingetragen werden. Auf Chinesisch heißt das Wort „Holzarbeiter“, näher kann man dem Proletariat nicht kommen. Unauffälliger lässt sich aber auch nicht erklären, warum der Bub ein ungewöhnliches Talent zum Zeichnen an den Tag legt – und dieses Talent beharrlich nutzt. Die Botschaft der Pfingstrosen 1964, im Geburtsjahr von Zhao Yongbo, überrascht das Postministerium der Volksrepublik China die Bewohner des Landes mit einer Serie von Briefmarken, deren künstlerische Pracht für manches entschädigt, was der Postkunde des Landes zuvor an Augenfreuden zu entbehren hatte. Diese Serie heißt Pfingstrosen und beschwört einen Reichtum von Farben und Formen, den die Partei zuvor und später wohl lieber als „unnötigen Aufwand“ oder „verdorbenen bürgerlichen Luxus“ wegsortiert hätte. „Ich muss neun oder zehn Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal einen Briefumschlag mit diesen Blumen gesehen habe“, sagt Yongbo, „ich glaube, die Kunst ist mit der Post in unsere kleine, staubige Stadt gekommen.“

Addiert der Betrachter zehn Jahre auf das Drachenjahr 1964, landet er zwei Jahre vor dem offiziellen Ende einer anderen radikalen Periode der modernen chinesischen Geschichte, der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“. Deren Abschluss wird 1976 verkündet. Mao ist gerade gestorben, in Nordchina bebt die Erde und fordert mehr Opfer als irgend eine zuvor bekannte seismische Erschütterung in der Geschichte des Landes. In jener „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ sollen mehr als zwei Drittel aller bekannten kulturellen Artefakte Chinas zerstört worden sein. Das, was man hitzig „Kunst“ nannte, war ein Mittel des Kampfes, ein Mittel der Propaganda, ein Mittel des Terrors. Der jetzt zehn- oder zwölfjährige Yongbo lernt nicht mehr von Briefmarken, er lernt von politischen Wandzeitungen, auf denen Karikaturen verbreitet werden. Und er verbreitet selbst Karikaturen, so macht er sich beliebt und unersetzbar. Niemand kann so geschwind, treffend und schonungslos auf einer Hauswand oder einer Schultafel das Schicksal des sowjetischen oder des amerikanischen Kapitalismus vorherzeichnen. Das ist gewiss nicht die ganz, ganz große Kunst, doch es zeugt von zwei Elementen: einem immensen Talent des Zeichnens auf der einen und einer nicht weniger beeindruckenden Gabe, virtuos mit schrecklichen existenziellen Bedrohungen fertig zu werden. Yongbo, Enkel eines Großgrundbesitzers, Sohn eines Intellektuellen rettet sich und seine Familie mit raffiniertem Zeichnen in einer Zeit, in der landauf, landab Künstler und Intellektuelle in Schweinekoben gesteckt werden, wenn denn das Schicksal ihnen so günstig gesinnt ist. „Ich habe eben Schweineglück gehabt“, sagt Yongbo an dieser Stelle der Erzählung noch einmal und stimmt sein gefürchtetes Lachen an.

Textauszug aus Yongbo Zhao, Reihe Junge Kunst, Band 5, Klinkhardt & Biermann, € 9,90

Ausstellung Das große Lachen des Yongbo Zhao vom 4. Juli – 7. September 2012 im Rathaus Krailling, Rudolf-von-Hirsch-Straße 1 
Der Besuch der Ausstellung ist während der Öffnungszeiten des Rathauses möglich.