Welche Schönheit, Welch eine Geschichte!

Die Weltkulturstadt Florenz

No. 03/2014

Von Christina Acidini

Jedes Jahr kommen zehn Millionen Besucher aus aller Welt in das historische Zentrum von Florenz, das sich auf einer Fläche von gerade einmal fünf Quadratkilometern innerhalb des historischen Mauerrings erstreckt. Kein Wunder, denn hier am Mittellauf des Arno wartet ein Gesamtkunstwerk, das die Handschrift unzähliger Stifter und Mäzene trägt.

Wie manche historische Metropole Europas am Beginn des dritten Jahrtausends steht Florenz vor der Aufgabe, einen Modus Vivendi im Umgang mit dem reichen Erbe seiner Vergangenheit zu finden. Die Geschichte der Arnostadt ist von einer jahrhundertelangen Tradition wichtiger Mäzene und Stifter, bedeutender Sammler und großer Künstler geprägt. Noch heute birgt das historische Stadtzentrum nicht nur mit den großen Kirchen, vor allem dem Dom S.Maria del Fiore, wichtige Orte des öffentlichen Lebens. Auch die kommunale Verwaltung hat ihren Sitz noch immer im Palazzo Vecchio und in anderen geschichtsträchtigen Bauwerken.

„Gott war Florentiner“

Das historische Zentrum ist nach wie vor der Mittelpunkt von Florenz. Hier prägt die mittelalterliche Stadt mit ihren großen Bauten und Gebäudekomplexen das Erscheinungsbild. Seit dem 11. Jahrhundert kristallisierten sich hier die Grundlinien heraus, die das innere Getriebe des urbanen Räderwerks bestimmen: die Verteilung der städtischen Bebauung, der Verlauf der Hauptwegeachsen, das Verhältnis der einzelnen Ensembles zueinander. Jenseits des alten Mauerrings erstreckt sich die Stadt des 19. und 20. Jahrhunderts und reicht bis an die Ausläufer der Hügelketten, die Florenz im Süden und im Norden umgeben. Über die Jahrhunderte hat hier die Arbeit des Menschen im Wechselspiel mit der Landschaft ein einzigartiges, fein ziseliertes Gebilde im Gleichgewicht von Architektur und zu Anbauflächen, Gärten und Parks geformter Natur geschaffen. Anatole France schrieb 1894 in Le Lys rouge: „Der Gott, der die Hügel von Florenz erschuf, war ein Künstler. Er war Goldschmied, Medaillenschneider, Bildhauer, Bronzegießer und Maler – er war Florentiner.“

Filippino Lippi, Madonna und Kind mit dem hl. Johannes dem Täufer und Engeln ("Tondo Corsini") ca. 1481/82

Filippino Lippi, Madonna und Kind mit dem hl. Johannes dem Täufer und Engeln („Tondo Corsini“) ca. 1481/82

Die Dichte der Baudenkmäler und Kunstschätze höchster Güte, wie sie im historischen Zentrum von Florenz versammelt sind, sucht ihresgleichen. Schon 1982 wurde die historische Altstadt deshalb von der UNESCO in ihrer Gesamtheit in die Liste der Weltkulturstätten aufgenommen. Im Begründungsschreiben findet sich dazu die wohl einmalige Vorbemerkung, es gebe viele gute Gründe, warum Florenz mit seinem kulturellen Erbe schon längst auf der Liste des Weltkulturerbes verzeichnet sein sollte – dies zu rechtfertigen sei ebenso unangemessen wie überflüssig. Wie die detaillierte Begründung des Internationalen Rates für Denkmalpflege ausführt, erfüllt das historische Zentrum von Florenz den Kriterienkatalog für Welterbestätte nahezu vollständig. Angefangen von der Geschlossenheit des Stadtbildes, sowohl in seiner Gesamtheit als auch hinsichtlich der einzelnen Bauten – ganz abgesehen von den Museen. „Das Stadtgefüge von Florenz“, heißt es dort, „ist selbst ein unvergleichliches künstlerisches Gebilde, ein absolutes Meisterwerk, die Frucht eines mehr als sechs Jahrhunderte währenden Schaffensprozesses.“

Welterbe ersten Ranges

Dies gilt für die machtvolle Architektur des Mittelalters ebenso wie für die bauliche Prachtentfaltung der Renaissance und des Barock, die Architektur der Romanik und der Gotik; nicht zu vergessen die unzähligen Maler, Bildhauer und Meister der verschiedensten, zu immer größerer Vollkommenheit entwickelten Handwerkskünste. Der Bericht bezieht sich aber nicht allein auf die Sakralbauten und die historischen Ensembles des Zentrums. Gemeint sind auch die Bereiche, die der Abrisswut des 19. und den Kriegszerstörungen des 20. Jahrhunderts zum Opfer fielen und deren Gebäude, Straßen und Plätze in der Formensprache ihrer Zeit durch neue ersetzt wurden. Ein zweiter Beweggrund für die Aufnahme von Florenz in die Welterbeliste ist der Beitrag der Stadt zur Kultur Europas in der Renaissance, namentlich durch Künstler wie Brunelleschi, Donatello, Masaccio, Leonardo da Vinci und Michelangelo. Schließlich findet auch die Stiftertätigkeit Florentiner Bankhäuser und Herrscherpersönlichkeiten Erwähnung ebenso wie die intellektuelle Kultur der Stadt seit der Zeit des Humanismus und der neubergündeten Platonischen Akademie. All dies trug zum historischen Zentrum Florenz als Ort kultureller Leistung ersten Ranges das begehrte Prädikat eines „Outstanding Universal Value“ ein. Der Reichtum der Arnstadt an Kunstwerken und Kulturdenkmälern geht vor allem auf die Auftragsvergabe und Sammeltätigkeiten der Medici zurück. Ihnen verdanken wir Werke wie Botticellis Geburt der Venus oder Michelangelos David, um nur die bekanntesten zu nennen. Initiiert von den „alten“ Medici, Cosimo, dem Begründer der Medici-Herrschaft, und Lorenzo dem Prächtigen im Quattrocento, und fortgesetzt von den Medici-Päpsten Leo X. und Clemens VII., wurden sie von den Florentiner Herzögen und den Großherzögen von Toskana bis zum Erlöschen der Dynastie 1737 bewahrt. Das Erbe der Medici umfasst die großen, in herrschaftlichen Palazzi untergebrachten Museumssammlungen der Uffiffizien, der Galleria Palatina, des Museo degli Argenti, den Boboli-Garten und die Medici-Villen. Aber auch der Komplex von S. Lorenzo mit der Alten und Neuen Sakristei, der Biblioteca Laurenziana, der Schatzkammer und der Cappella dei Principi zählt dazu. Dass Altertümer, Kunstwerke und Bücherschätze der Medici-Dynastie geschlossen für Florenz gesichert werden konnten, ist der Weitsicht und Entschlossenheit Anna Maria Luisa de‘ Medicis, der letzten Fürstin aus dem Geschlecht der Medici, zu verdanken. Mit dem von ihr 1737 initiierten „Pato di famiglia“ sorgte sie dafür, dass die Medici-Sammlungen auch nach dem Übergang des Großherzogtums an die Lothringer an ihren angestammten Orten erhalten blieben.

Die Ursprünge von Florenz’ kultureller und künstlerischer Größe reichen noch sehr viel weiter bis ins 13. und 14., ja bis ins 11. Jahrhundert zurück. Die Macht des Stadtstaates am Mittellauf des Arno manifestierte sich in starken weltlichen wie kirchlichen Institutionen. Der europaweite Handel der Florentiner schuf Reichtümer, die sich in öffentlichen wie privaten Aufträgen zur Verschönerung der Stadt niederschlugen. Die günstige Lage am Fluss, die Sicherheit durch sich stetig weiter ausdehnende Mauern und die sauberen Straßen nahmen bereits die Zeitgenossen als wichtige Bedingungen für den demografischen und ökonomischen, aber auch künstlerischen Reichtum von Florenz wahr.

Geburtsort der Renaissance

Giuseppe Zocchi, Piazza San Firenze, 18. Jahrhundert

Giuseppe Zocchi, Piazza San Firenze, 18. Jahrhundert

Die Vielfalt politischer und administrativer Organe, kirchlicher Strukturen und Körperschaften, von Bankhäusern, einflussreichen Familien und vermögenden Persönlichkeiten bildete die Grundlage für eine im Abendland einmalige kulturelle Hochblüte nach dem Vorbild der Antike. Die Architektur war hiervon ebenso betroffen wie die übrigen Künste, sei es die Skulptur aus Terrakotta, Marmor oder Bronze, die Tafel- und Freskomalerei, die Miniaturen, die Goldschmiede- und viele andere Handwerkskünste. Ungeachtet der Parteienkämpfe innerhalb der Stadt und der äußerst bewegten politischen Lage auf der italienischen Halbinsel, konnte so eine kulturelle und künstlerische Strömung erwachsen, die wie keine zweite den Stempel ihres Geburtsortes, ihrer Entstehungszeit und ihrer Schöpfer trägt – die Renaissance.

Der Diplomat und Chronist Benedetto Dei (1418–1492), der auf seinen Reisen nicht nur die großen Städte Italiens und des europäischen Kontinents kennengelernt, sondern auch Asien und Afrika bereist hatte, schrieb die Überlegenheit seiner Heimatstadt Florenz insgesamt sieben Faktoren zu: der politischen Freiheit, der wohlhabenden und zahlreichen Bevölkerung, dem Fluss mit seinen Wassermühlen innerhalb der Stadtmauern, der Herrschaft der Florentiner über das Umland, dem Unterricht in den humanistischen und mathematischen Disziplinen, den „arti“ (womit zum einen die Zünfte, ganz allgemein aber auch die Kunstfertigkeit auf jedem Gebiet gemeint ist) und schließlich dem florierenden Bankwesen mit seinen Niederlassungen im Ausland.

Giovanni di Ser Giovanni, genannt Lo Scheggia, Hochzeitstruhe mit Darstellungen aus der alttestamentarischen Geschichte der Susanna, um 1450

Giovanni di Ser Giovanni, genannt Lo Scheggia, Hochzeitstruhe mit Darstellungen aus der alttestamentarischen Geschichte der Susanna, um 1450

Abgesehen von den Arnomühlen, die inzwischen aus dem Stadtbild verschwunden sind, hat Benedetto Deis Beobachtung nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Das Überleben der Stadt hängt auch heute noch vom gegenseitigen Austausch mit der Kulturlandschaft in ihrem unmittelbaren Umland ab, nicht weniger als von der Vielfalt der Unternehmungen und Aktivitäten, wie sie in der Stadt aufblühen, die, wie Benedetto Dei schrieb, „auf allen Gebieten nach Vollkommenheit strebt“. Die im Jahr 2013 vollzogene Einbeziehung der im Nordosten der Stadt gelegenen Medici-Villen in das Welterbe als dezentrale, kulturell bedeutende Knotenpunkte stellt in diesem Sinne eine wichtige Ergänzung dar, um das Übergewicht des historischen Zentrums mit seiner Ballung an Kulturgütern auszugleichen.

Die Verleihung des Welterbetitels an Florenz und sein historisches Umland, dies ergibt sich aus der Begründung des ICOMOS (Internationaler Rat für Denkmalpflege), beruht auf dem anspruchsvollen Bild der Arnostadt als einer über die Jahrhunderte geformten gemeinsamen Schöpfung von vielerlei Künsten und Wissenszweigen und als Produkt der Naturgestaltung durch den Menschen. Dieses Idealbild darf freilich die Konfrontation mit den Anforderungen und Lebensrhythmen einer modernen, sich stetig entwickelnden Stadt nicht scheuen. Das Zusammenleben mit dem und inmitten des historischen Erbes muss täglich aufs Neue erprobt werden.

Um eine dynamische Weiterentwicklung der Elemente des UNESCO-Berichts zu gewährleisten, wurden zusätzliche Bereiche erschlossen und gefördert. Ziel dieser Bemühungen ist ein modernes städtisches Leben in Kontinuität mit der Geschichte und ihren Zeugnissen.

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Florenz!
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
Bis 9. März 2014

Katalog zur Ausstellung
mit Beiträgen von C. Acidini, H. Baader, C. Barteleit, A. Giusti, Ph. Helas, W.-D. Löhr,
V. Reinhardt, J. Renn, B. Roeck, E. Spalletti, C. Tauber,
T. Verdon, G. Wolf
Hirmer Verlag € 49,90