Sie machte ihr Ding

Jeanne Mammen - Zwischen Poesie und Abstraktion

No. 04/2017

Ein engumschlungenes Paar auf der Tanzfläche, lässig rauchende Frauen im Café, Faschingsszenen – die Künstlerin Jeanne Mammen (1890–1976) wird meist mit ihren einfühlsamen und treffsicheren Darstellungen des Berliner Großstadtlebens der 1920er Jahre in Verbindung gebracht. Doch in 70 Schaffensjahren entstanden viele weitere Werke, die sie als experimentierfreudige Künstlerin auszeichnen.

Jeanne Mammen, Sie repräsentiert, um 1928, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Repro: © Mathias Schormann

Nach dem Ersten Weltkrieg bitterarm in Berlin gestrandet, verdient sich die junge Künstlerin Jeanne Mammen zunächst mit Fotoretuschen, Modeskizzen und dem Entwerfen von Kinoplakaten ihr Brot. Im Laufe der 1920er Jahre macht sie sich einen Namen als Zeichnerin und Illustratorin. Gesellschaftsszenen und Milieustudien, vor allem aus der von ihr geliebten Welt der Bühne und des Kabaretts, bezeugen ihre scharfsichtige Beobachtungsgabe und lassen sie zu einer der wichtigen Künstlerinnen der Weimarer Republik werden. In der Zeit des Nationalsozialismus zieht sie sich in ihr Berliner Wohnatelier zurück, solidarisiert sich mit der verfemten Moderne und befasst sich mit französischer Dichtung. Ihr Widerstand gegen die Diktatur findet auf der Leinwand statt, sie beendet ihre realistische Phase und experimentiert unter dem Einfluss von Picassos Guernica mit der kubistischen Malweise.

Nach 1945 malt sie abstrakte Ölgemälde, was ihr zeitweise den Beinamen „Madame Picasso“ einbringt. Ihre Arbeiten werden vom breiten Publikum jedoch als zu sperrig, zu kompromisslos empfunden. Zu ihrer Enttäuschung interessieren sich die Kunstliebhaber mehr für ihre „Gebrauchsgrafik“, wie sie ihre Aquarelle der 1920er Jahre selbst abfällig nennt. Die Ausstellung Jeanne Mammen. Die Beobachterin. Retrospektive 1910 ‒1975, die in der  Berlinischen Galerie bis zum 15. Januar zu sehen ist, zeigt neben den frühen Aquarellen und Zeichnungen ihr zwischen 1965 und 1975 entstandenes fulminantes Spätwerk, das sie u.a. als Malerin sowie als Schöpferin von Glanzpapiercollagen und asketischen Chiffrenbildern vorstellt. Der begleitende Katalog bietet mit spannender Gestaltung und klugen Texten einen adäquaten Rahmen für die Kunst der „unerschrockenen und folgerichtigen“ Intellektuellen Jeanne Mammen. cv

Cover für Jeanne Mammen. Die BeobachterinJeanne Mammen. Die Beobachterin
Retrospektive 1910 - 1975
Bis 15. Januar in der Berlinischen Galerie
Ausstellungskatalog
Hirmer Verlag € 45,–