Seelischer Beistand

Die Museumskirchen von Berlin

No. 03/2013

Von Wilfried Rogasch

Museumsinsel und Kulturforum, die beiden Berliner Kunstquartiere, haben benachbart jeweils eine „Museumskirche“: den Berliner Dom und St. Matthäus. Obgleich beide im 19. Jahrhundert entstanden, könnten sie gegensätzlicher nicht sein.

Der Dom liegt am Lustgarten, der vor einigen Jahren seine Begrünung wiedererlangt hat. Bei schönem Wetter erholen sich hier eifrige Museumsgänger nach ausgedehntem Kunstgenuss. Zur Kaiserzeit umstanden den Lustgarten vier Gebäude, die die vier Säulen des preußischen Staates symbolisierten: Das Schloss repräsentierte die Monarchie, der Dom die protestantische Religion, das Alte Museum stand für Kunst und Wissenschaften, das Zeughaus für die preußische Armee. Bald wird man dieses Ensemble wieder erleben können: Die Baugrube für den Neubau des Berliner Schlosses wird derzeit ausgehoben.

Konkurrenz zu St. Peter

Berliner Dom Foto: Namiac

Berliner Dom Foto: Namiac

Der Dom war niemals Bischofssitz. Er gewann seine Bedeutung als Hofkirche Kaiser Wilhelms II., der 1894 den Grundstein legte. Am 27. Februar 1905, dem Hochzeitstag des Kaiserpaares, wurde der Dom mit allem erdenklichen Prunk eingeweiht. Der Architekt Julius Raschdorff hatte einen Prachtbau im Stile der italienischen Hochrenaissance und des Barock errichtet. Mit seinen riesigen Dimensionen, seiner hoch ragenden Kuppel und der erlesenen Ausstattung sollte der Bau mit St. Peter in Rom, der Hauptkirche der Katholiken, und St. Paul’s Cathedral in London, der Hofkirche von Wilhelms Großmutter Queen Victoria, konkurrieren. Die Berliner, von jeher in ihrer Mehrheit kirchenfern, nannten den Dom „Seelengasometer.“

Im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört, begann der Wiederaufbau des Domes in der DDR 1975 mit Geldern aus dem Westen. Geweiht wurde er erst nach der deutschen Einheit 1993. Will man ihn besichtigen, so sind 7 Euro Eintrittsgeld zu entrichten. Dies ist Gegenstand einer Kontroverse im Internet, sind doch die meisten Kirchen Europas gratis zu besuchen. Um in das Innere des Domes zu gelangen, nimmt man den Weg durch das kaiserliche Treppenhaus und einen langen, holzgetäfelten Korridor. Erst danach wird man – ganz im Sinne des Bauherren – beim Anblick des in Gold gehaltenen Altarraums im Osten und der Kaiserlichen Empore gegenüber gleichsam überwältigt. Überlebensgroße Skulpturen der vier Reformatoren Luther, Melanchthon, Calvin und Zwingli und der vier Fürsten, die die Reformation unterstützten, umstehen den gigantischen Kuppelraum. Der Dom ist Schauplatz von Konzerten, alljährlichen Jedermann-Aufführungen und Staatsakten wie etwa 2006 für den verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau.

Wie anders die Matthäuskirche: Sie steht heute als einziges älteres Bauwerk inmitten des Kulturforums und ist umgeben von bedeutenden Bauten des 20. Jahrhunderts: Neue Nationalgalerie (Mies van der Rohe), Philharmonie und Neue Staatsbibliothek (Hans Scharoun), Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Kunstbibliothek (Hilmer und Sattler, München). Die Kirche wurde 1844 bis 1846 von August Stüler gebaut. Von dem Schinkelschüler stammen auch das Neue Museum auf der Museumsinsel und der Kuppelbau des Berliner Schlosses.

St. Matthäuskirche am Kulturforum, Berlin Foto: Berthold Werner

St. Matthäuskirche am Kulturforum, Berlin Foto: Berthold Werner

Zum Zeitpunkt ihrer Weihe lag die Kirche noch inmitten von Feldern und Gärten. Dies brachte ihr den Spitznamen „Des lieben Gottes Sommervergnügen“ ein. Die dreischiffige Kirche mit hohem Turm entstand im Stil der italienischen Romanik. Sie ist klar und streng gegliedert, anders als der Dom ohne Skulpturenschmuck, mit jeweils einem Dach über den drei Schiffen und drei Apsiden als Abschluss. Sie wirkt inmitten der modernen Architektur nicht als Fremdkörper. Ab etwa 1860 entwickelte sich das Viertel zur besten Wohnlage Berlins und bestand als so genanntes „Geheimratsviertel“ bis zur kompletten Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. 1931 wurde der Theologe und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime Dietrich Bonhoeffer in der Kirche zum Pfarrer ordiniert. 1939 ließ Hitler zahlreiche Gebäude, auch das Pfarrhaus von St. Matthäus, niederreißen. Sie waren der Nord-Südachse von Hitlers geplanter Welthauptstadt „Germania“ im Wege. Auch die Kirche sollte nach Hitlers Plänen weichen. Der Zweite Weltkrieg verhinderte den Abriss, stattdessen wurde die Kirche in den letzten Kriegstagen durch die Rote Armee zerstört. 1956 bis 1960 erfolgte der Wiederaufbau im Außenbau historisch und im Inneren modern.

Schauplatz für Kultur

Mittlerweile jedoch wurde das Viertel rundherum nicht mehr bewohnt. Trotz fehlender Gemeinde finden in der Kirche sonntags Gottesdienste statt. Die seit 1999 bestehende Kulturstiftung St. Matthäus organisiert darüber hinaus zeitgenössische Konzerte und Ausstellungen. Da die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz von dem Plan Abstand genommen haben, die Gemäldegalerie in das zu kleine Bodemuseum zu transferieren, wird das Kulturforum in Zukunft gegenüber der Museumsinsel wieder an Bedeutung gewinnen. Auch die Matthäuskirche, eine Kirche nach menschlichem Maß, könnte dadurch stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit gelangen.