Offene Archivschränke

No. 01/2016

Über 40 Jahre hinweg hat Christine Ljubanovic mit der Kamera Menschen beobachtet. Nun hat sie ihre Archivschränke geöffnet und mit ihrem aktuellen Buch Einblick in bisher unveröffentlichtes Material gewährt, das während Porträtsitzungen mit bekannten Künstlern, Kuratoren und Schriftstellern entstanden ist.

Ungewöhnlich und äußerst reizvoll ist dabei, dass Ljubanovic den Kontaktbogen als eigentliche Form ihrer Porträts wählt. Während Kontaktbögen üblicherweise der Auswahl des besten Motivs dienen, verdichten sie sich hier durch die sequenzielle Abfolge von 24 bzw. 36 Bildern zu teils amüsanten erzählerischen Szenen. Die Fotografin lässt den Betrachter an Sitzungen teilhaben, die informell und spontan waren. Die 60 Porträtierten wurden bei der Wahl des Umfelds grundsätzlich mit einbezogen. Das ist den Fotos anzumerken. Man begegnet Raymond Loewy, einem der bekanntesten Industriedesigner des 20. Jahrhunderts, der sich vor einem seiner stromlinienförmigen Designentwürfe um die beste Pose bemüht. Oder dem jungen Peter Weibel, der 1979 mit seinem Charme und seiner intelektuellen Wendigkeit die Wiener Kunstszene fest im Griff hatte. Robert Fleck, der jetzt zum Buch einen Essay verfasst hat, und Christine Ljubanovic bereits 1990 in Paris zur Photosession traf. Seine Fotosequenz offenbart sympathische Zurückhaltung, wohingegen Hans Ulrich Obrist sich auch damals schon in herausfordernder Siegerpose fotografieren ließ. Yoko Ono, Giséle Freund, Thomas Hirschhorn und Arnulf Rainer – sie alle gilt es zu entdecken in diesem Buch, das reich ist an Zeitgeist vergangener Tage und präziser Beobachtungsgabe. Und es führt auf großartige Weise vor Augen, dass es eine Welt vor Photoshop gab, in der Namen wie Kodak und Ilford noch ein Versprechen waren. ck

 

Christine Ljubanovic
Conversation Portraits
Photo-Suites 1974-2014
Hirmer Verlag € 39,90