Marmor, Mythen, Muskelkraft

No. 02/2012

Von Anne Funck

Schnelles Hämmern, leichte Schläge, konstantes Sägen. Es klingt wie ein Orchester, dem wir uns nähern. Von Weitem hört man Klopfen, immer im gleichen Takt. Der Untergrund ist fester Stein, der berühmte Untersberger Marmor. Tonnenschwere Brocken sind über den Schotterplatz am Rande des Steinbruchs verteilt und werden mit Hammer und Meißel bearbeitet.

Jedes Jahr treffen sich im Kieferbruch am Untersberg verschiedene „Musiker“, um vier Wochen lang zu arbeiten und in den benachbarten Gebäuden gemeinsam zu essen und zu schlafen. In diesem Sommer ist es wieder ein internationales Ensemble – bunt durchmischt aus Deutschland, Norwegen, Südtirol, Holland, Korea und der Schweiz. Sie haben sich für den Bildhauerkurs eingeschrieben, der jedes Jahr abgehalten wird. Organisatorisch eingebunden ist er in die „Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg“, die ihr reiches Angebot an Kursen, Veranstaltungen, Vorträgen, Diskussionen und Ausstellungen zu diversen Themen aus den Sparten Malerei, Bildhauerei, Grafik, Architektur, Schmuck, Fotografie und Film über die Region Salzburg verteilt. Initiator hierfür war Oskar Kokoschka, der in der Nähe seinen Wohnsitz hatte. Zusammen mit Friedrich Welz hatte er 1953 die Akademie als „Schule des Sehens“ gegründet, die heute jeden Sommer rund 300 Studierende aus aller Welt anzieht. Inmitten von Bäumen öffnet sich eine Freifläche und gibt den Blick auf die Abbruchhänge frei.

Wie eine Regenbogenforelle

„Entweder es gelingt oder es gelingt nicht“, heißt die Devise, „Glück und Pech liegen nah beieinander“ © Anton Brandl, München

„Entweder es gelingt oder es gelingt nicht“, heißt die Devise, „Glück und Pech liegen
nah beieinander“ © Anton Brandl, München

Links schimmern die Wände gelblich, in der Mitte rosa; auf der rechten Seite wird das wertvollste Material abgebaut, der sogenannte Forellenstein. Dieser hautfarbene Stein ist durch rote und blaue Sprenkel durchsetzt und erinnert an die Flanken einer Regenbogenforelle. Früher waren im Steinbruch viele Menschen beschäftigt. Heute sind nur noch drei von ihnen permanent im Einsatz, sommers wie winters bearbeiten sie den Berg. Sie rangieren mit ihren Radladern, schlagen Brocken aus dem Steinmassiv, wuchten die Trümmer mit Gefühl auf die Gabeln ihrer „Raupen“, den Caterpillars. Mannshohe, mit Ketten überzogene Räder, walzen durch den regennassen Schlamm zu der großen Säge. Dort wird der Stein mit Diamantseilen in tonnenschwere Quader zerschnitten. Der große Schotterplatz, auf dem die Kursteilnehmer der Sommerakademie arbeiten, liegt gleich neben der breiten Gerätehalle, in der die Radlader untergestellt werden. Die Sonne kommt raus, und der weiße Marmorstaub legt sich wie Mehl über die Schirme und Pavillons. Viele Studenten wählten ihren Arbeitsplatz oberhalb des Hanges, der jäh hinter einer Baumreihe abfällt. Vor 20 Jahren wurde er mit Buchen und Erlen aufgeforstet, die heute Schatten spenden oder vor Regen schützen. Der einstmals schöne Ausblick hinüber auf die Festung Hohensalzburg, das Herz der Sommerakademie, ist längst zugewachsen. Simon aus Südtirol hat einen Steinsplitter in die Rinde eines Baums geschlagen und daran seine Tasche aufgehängt. Eigentlich lernt er an der Fachhochschule Holzbildhauerei, wollte sich aber mal an dem harten Werkstoff Stein versuchen und meldete sich bei der Sommerakademie an. Seine Arbeit nimmt bereits die Formen eines Pegasus an und ähnelt dem kleinen Modell aus Plastilin, das vor ihm steht. Gegenüber seinen Kollegen, die aus „fachfremden“ Richtungen kommen, hat er gewisse Vorteile. Die Herangehensweise der „Neulinge“ ist eine ganz andere, die „Unschuld im Umgang mit dem Material“ führt oft zu neuen Ergebnissen. Während der vier Kurswochen entstehen viele figürliche und konzeptionelle Arbeiten, mit Kreide angezeichnet oder frei in den Stein gehauen. Unterschiedliche Motive führten die Kursteilnehmer hierher: die Stipendiatin Friederike aus Düsseldorf, die eigentlich Textilkunst studiert, bearbeitet ihr Werkstück mit Hammer und Meißel; Sonja höhlt für ein Sonderschulprojekt einen riesigen Marmorblock aus, der Jüngste der Truppe, der Waldorfschulabgänger Lukas, überlegt, ob er in die Steinbildhauerei gehen möchte, und versucht geduldig, einen Rohling durch Austarieren des Gewichts in eine Plinthe zu verankern.

Entscheidend ist, ein Gespür für den Werkstoff zu bekommen

Sommerakademie

Sommerakademie

Gleich zu Beginn des Kurses, wenn sich alle eingefunden haben, geht es rüber in den Steinbruch. Dort dürfen sich die Kursteilnehmer ihren Rohling wählen, der dann mit den großen Maschinen zum Freiluftatelier auf den Schotterplatz gebracht wird. Die normalen Größen, etwa 2 Kubikmeter, bewegen sich ungefähr bei 5 Tonnen Gewicht, die größeren Kaliber bringen bis zu 10 Tonnen auf die Waage. Wer zum ersten Mal mit dem Material umgeht, wählt einen kleineren Marmorblock. Entscheidend ist, ein Gespür für den Werkstoff zu bekommen, sich vom Stein inspirieren zu lassen und seiner Rohform zu folgen. Dieter war schon öfters dabei: Er hat sich diesmal etwas Großes vorgenommen: Aus einem übermannshohen Quader wird ein Minotaurus. Eine undurchdringliche Staubwolke hüllt ihn samt seinem gelben Sonnenschirm ein. Mit Schutzbrille und Maske steht der Bildhauer auf der Leiter und bearbeitet den Rohling mit der Flex, bricht mit Hammer und Meißel Stücke heraus und setzt Keile entlang der mit Kreide angezeichneten Linien.

Viele Teilnehmerhaben ihr eigenes Werkzeug dabei. Im Bauwagen sind die Materialkisten nach Besitzern sortiert und lagern direkt neben dem Werkzeug, das von der Sommerakademie gestellt wird. Die harte Arbeit am Stein verlangt Opfer. Immer wieder muss das Werkzeug nachgebessert werden. Mit der Zeit werden die Meißelspitzen stumpf, das Metall kommt oft nicht gegen den Marmor an. Je nach Beschaffenheit des Steins müssen sie individuell gehärtet sein. Nicht zu hart und nicht zu weich – elastisch sollten sie sein und nicht zu spröde, um mit dem Werkstoff in Einklang zu stehen, Spannung aufzubauen und den Stein gezielt zu brechen.

Es ist eine kräftezehrende Arbeit, die hungrig macht. Als zum Mittagessen gerufen wird, fährt ein DPD-Kleintransporter vor das Wirtschaftsgebäude und bringt die ersehnte Lieferung von Werkzeug – ein Grund mehr sich zu beeilen. Paarweise bewirtschaften die Kursteilnehmer im Wechsel die Küche und versorgen die Mannschaft mit Selbstgekochtem. An den großen Holztischen, die zu einer großen Tafel zusammengeschoben sind, nehmen alle Platz. Auf einem Nebentisch liegen Flyer und informieren über Veranstaltungen der Akademie und das Rahmenprogramm. Die Sommerakademie hat sich mit den Jahren verändert. Neben den klassischen Disziplinen wie Malerei, Bildhauerei und Grafik werden heute auch Performance, Installation, Foto, Video und Mixed Media angeboten. Das Arbeiten im Marmorsteinbruch gehört mittlerweile zu den Besonderheiten, denn in den Akademien wird kaum mehr Steinbildhauerei gelehrt: Fächer mit den klassischen Werkstoffen sind momentan nicht so gefragt.

Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg 
www.summeracademy.at