What a great man, our President

J.F. Kennedys Reise nach Europa

No. 02/2013

Hildegard Steigerwald-Knapp, die 1963 während Kennedys Berlin-Besuch in Washington DC arbeitete, schildert als Zeitzeugin, wie sie zur gleichen Zeit als Deutsche in den USA wahrgenommen wurde.

John F. Kennedy, Willy Brandt, Konrad Adenauer in Berlin, 26. Juni 1963 Foto: Ulrich Mack

John F. Kennedy, Willy Brandt, Konrad Adenauer in Berlin, 26. Juni 1963 Foto: Ulrich Mack

Im Jahr 1963 als Deutsche in Amerika: Ich bin 22 Jahre alt und erlebe in Washington DC ständig Neues und Aufregendes: die Ablegung des Eids von Präsident Kennedy; Martin Luther King und die anderen Friedensaktivisten auf ihrem Marsch zum Washington Monument; unsere Sänger Prey und Fischer-Dieskau auf Amerika- Tour; das Gastspiel des russischen Pianisten Swjatoslaw Richter in einer Turnhalle unter herabhängenden Ringen. Um zwei Minuten die Mona Lisa aus Paris zu sehen, musste man sechs Stunden Schlange stehen. Nurejew tanzt sich in die Herzen der Amerikaner bei seinem Auftritt im Feuervogel. Mit meinem Chef und einer Freundin besuche ich Theateraufführungen: Am meisten prägt sich Faust 1 und 2 in New York mit Gründgens ein. Dann kam die Kubakrise. In Berlin wurde die Mauer gebaut, und irgendwie las man die erste Seite einer Zeitung – und natürlich alles, was über Deutschland und Berlin geschrieben wurde – aufmerksamer als sonst.

Englische Ausgabe

Englische Ausgabe

Ich bin damals oft ins Kino gegangen, um die Wochenschau zu sehen; und manche Träne floss, war man doch so weit weg von Deutschland und kannte eigentlich sein Land überhaupt noch nicht. Dann wurde Kennedys Europareise 1963 immer konkreter. In der Klinik, in der ich damals arbeitete, merkte man, dass ich mit leichtem Akzent sprach; und Patienten, die auf meinem Kittel den Namen „Hildegard“ lasen, fragten mich, woher ich komme. Einige sagten dann: „Ah, from Nazi Germany“. Das tat sehr weh. Da aber der grauenvolle Zweite Weltkrieg erst 18 Jahre her war, schwieg ich und hing meinen Gedanken nach. Andere fragten: „Hildegard like Hildegard Neff ?“ Sie meinten Hildegard Knef. Mit dem Namen Freddy Quinn, der manchmal erwähnt wurde, konnte ich allerdings gar nichts anfangen.

Ich bin ein Berliner!

Eines Tages kam ich zur Arbeit in die Klinik, war sehr beschäftigt und merkte nicht, dass ein kleiner schwarzer Junge, den ich schon lange kannte, weinte. Ich fragte ihn, was denn sei, ob er Schmerzen habe. Er schüttelte den Kopf und hob sein gestrecktes Ärmchen steil in die Höhe und sagte: „Hildegard, I said good morning and Heil Hitler to you; why don’t you answer?“ Seine Mutter kam, entschuldigte sich und sagte, dass sie versucht habe, Joseph zu erklären, dass die Deutschen jetzt wieder ganz normal sprechen und höflich seien wie die Amerikaner. Im Fernsehen, sagte sie, laufen in diesen Tagen sehr viele Nazifilme. Ihr Mann sehe sie alle. Die Familie hat mich dann eingeladen, bei ihnen fernzusehen. Ich hatte aber keine Lust dazu, musste ich doch immer wieder an eine Patientin denken, die mit starkem Akzent den Satz sprach: „Ja, die Arme hochreißen, das können die Deutschen.“ Als am 26. Juni dann in Berlin der Satz fiel „Ich bin ein Berliner!“, wurde er auf allen Kanälen und auf den Titelseiten der Zeitungen unendlich oft wiederholt und gerne mit den Worten ergänzt: „What a great man, our President.“ Danach spürte ich eine ganz neue Offenheit allem Deutschen gegenüber.

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Kennedy in Berlin Fotografien v. Ulrich Mack
Beiträge von J. von Altenbockum, E. Bahr und H. M. Koetzle 
Deutsch/Englisch
Hirmer Verlag € 29,90

Fotoausstellung „Kennedy in Berlin“ 
Alte Rotation, München Bis 7. Juli 2013 tägl. von 12 –18 Uhr 
www.alte-rotation.de