Fresko-Kunsträtsel

No. 03/2015

WER BIN ICH?

Es gab eine Phase in meinem Leben, in der mir der Beruf des Seeräubers allemal verlockender erschien, als das, zu dem ich verdammt war, dem Nichtstun. Nach einem erfolgreichen Studium, inspirierenden Auslandsaufenthalten – darunter drei Jahre in der Ewigen Stadt – war ich voller Tatendrang in meinen Geburtsort zurückgekehrt. Ich wollte bauen: Häuser, Paläste, Museen, Straßen, was immer man von mir erwartete. Stattdessen fand ich keine Anstellung, war gezwungen, vom Geld meines Vaters zu leben und litt unter dem kühlen Klima und dem „dicken Bier“, wie ich meinem Freund nach Rom schrieb. Kurz darauf wurde mein Vater von seiner gutdotierten Position ausgerechnet von dem Kollegen verdrängt, der mir schon lange ein Dorn im Auge war. Nicht nur einmal hatte er Aufträge bekommen, um die ich mich vergeblich bemüht hatte. Vaters Nachfolger bot mir eine Praktikantenstelle an, es war demütigend, aber ich schluckte meinen Stolz herunter und wurde eine Zeitlang sein Handlanger. Nach drei Jahren wendete sich endlich das Blatt, von höherer Stelle erkannte man mein Potenzial, und ich wurde als Professor an die Akademie berufen. Dort baute ich zwar keine Häuser, wie ich es mir wünschte, verfügte aber über Ansehen und Einkommen – und konnte endlich heiraten.

Dann kam die Wende. Durch einen Geniestreich ergatterte ich meinen ersten großen Auftrag, die Planung eines repräsentativen, geradezu monumentalen Bauwerks. „Den Anderen“, wie ich meinen ehemaligen Chef und Dauerkonkurrenten nannte, überholte ich bei der Auftragsvergabe elegant rechts, man muss eben zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. In diesem Fall war es der Wohnort der Geliebten des Bauherrn, wo er sich regelmäßig im Sommer aufhielt. Ich war „zufällig“ auch dort, kam mit ihm in entspannter Atmosphäre ins Gespräch und erhielt den Zuschlag. Meine Karriere nahm Fahrt auf, sie explodierte geradezu. Plötzlich hatte der Tag nicht genügend Stunden, ich betreute nicht nur dieses eine Projekt, sondern wurde landauf, landab mit Aufträgen überschüttet. Diese enorm hohe Arbeitsbelastung hielt ich jahrelang aus, dann – es war ein launischer Frühlingstag – traf mich im blühenden Alter von 55 Jahren der Schlag, und alles war vorbei. „Der Andere“ fand später neben mir seine Ruhestätte, auf einem Teil des Friedhofs, den ich geplant hatte, nicht er. Aber wer will schon so kleinlich sein.

Wer bin ich?

– Wer bin ich? –

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Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 2/2015: Maria Sybilla Merian (1647 – 1717)