Ehrliche Geschichten

Menschlichkeit im Amerika der 30er Jahre

No. 04/2017

Zeiten, in denen ein wild gewordener amerikanischer Präsident im Weltgeschehen herumzündelt, können einen meschugge und sogar mutlos machen. Die Kurzgeschichten von William Saroyan, die in den 1930er und 40er Jahren in Amerika veröffentlicht und nun erstmals ins Deutsche übersetzt wurden, zeigen jedoch einer sich anbahnenden Verzweiflung die rote Karte und zaubern dem Leser ein Lächeln ins Gesicht.

Saroyan erzählt von Menschen, die in den 1930ern ums Überleben in der amerikanischen Depressionszeit kämpfen und trotzdem an Menschlichkeit und Brüderlichkeit glauben. Es sind moralische und unspektakuläre Geschichten, die jedoch direkt, anregend, lebendig und ohne Pathos den Alltag der kleinen Leute im Sumpf des amerikanischen Alltags beschreiben. Dabei geht es um Freundschaft, Liebe, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, aber auch um Herkunft, Vielfalt der Ethnien und Anpassungsfähigkeit. Es treten unter anderem auf: ein sturer philippinischer Ringer, ein blauäugiger Birnendieb, ein Mann, der eine Zwergin liebt, und ein verlotterter, stinkreicher Indianer. Meist passiert nichts, selten gar Gutes. Und doch zieht die Erzählung, oft in der Ich-Perspektive geschrieben, den Leser wegen der
Authentizität in ihren Bann.

William Saroyan, der 1908 in Kalifornien als Sohn armenischer Einwanderer geboren wurde, in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs und 1981 verstarb, war eine schillernde Figur im amerikanischen Literaturbetrieb. Er galt als schlampiges Genie, war ein Hitzkopf und Trinker und verglich sich selbst mit Faulkner und Hemingway. Doch sein Stil ist nie überheblich oder besserwisserisch. Häufiger in Spelunken und Spielsalons zu Gast, muss Saroyan wohl sehr gut zugehört haben, was die Leute redeten, denn nur so kann man sich die Tiefe seiner Geschichten erklären. Dass die nie versiegenden Hoffnungen und Träumereien der Protagonisten geradezu zeitlos wirken, hat aber auch mit dem Pynchonund Faulkner-Übersetzer Nikolaus Stingl zu tun. Unangestrengt und überaus geschmeidig überträgt er die Beschreibungen und Dialoge der 30er Jahre in die deutsche Sprache von heute. Dies garantiert, dass nichts vom hintersinnigen Humor und der Erzählfreude des Autors auf der Strecke bleiben. „Was soll denn das für eine Story sein?“ lässt Saroyan in „Little Miss Universe“, einer von insgesamt 16 Geschichten, den Leser fragen. „Keine Handlung, kein Ausgang, kein Höhepunkt, nichts Spannendes.“ Lassen Sie sich überraschen. kh

Coverbild Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich von William Saroyan, ISBN-978-3-423-28137-9Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich
Von William Saroyan
dtv € 20,-