Die Welt der Wikinger

Macht und Glanz, Glaube und Ritual

No. 02/2014

Von Gareth Williams

Wie in den meisten archäologisch oder historisch definierten Epochen gab es auch in der Wikingerzeit keinen Stillstand. In vielen Gebieten von Russland bis Nordamerika ließen sich im Zuge von Eroberung wie von friedlicher Ansiedlung Skandinavier nieder. Selbst an den Orten, an denen die Siedler nicht auf Dauer blieben, hinterließen sie fast immer das eine oder andere linguistische, kulturelle oder archäologische Erbe.

Vale of York Hoard, Wikinger-Depotfund von Harrogate, 9. Jh. © The Trustees of the British Museum

Vale of York Hoard, Wikinger-Depotfund von Harrogate, 9. Jh. © The Trustees of the British Museum

Zu den materiellen Hinterlassenschaften der Wikinger zählen ganze Siedlungen – darunter Städte, Festungen, Bauern- und Gutshöfe, Einzelgebäude, Schiffe und andere Transportmittel sowie zahlreiche Werkzeuge, Waffen, Handelsgüter, Haushaltsgegenstände, Schmuckstücke und Kleidung. Obwohl die Gegenstände unterschiedlich gut erhalten sind, geben sie uns Einblick in das Siedlungsverhalten und die Aktivitäten zur Wikingerzeit sowie in interne und externe kulturelle Kontakte.

Nadel mit Drachenkopf, 950–1000 n. Chr., Archäologisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig © Wikinger Museum Haithabu

Nadel mit Drachenkopf, 950–1000 n. Chr., Archäologisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig © Wikinger Museum Haithabu

Die Archäologie liefert uns ständig weitere Informationen. Immer neue Grabungen erfolgen zu reinen Forschungszwecken, aber auch im Vorfeld von Bauvorhaben. Neben den herkömmlichen Ausgrabungen bringen systematische Untersuchungen mit Metalldetektoren vor allem in Dänemark und England inzwischen große Mengen von Funden ans Licht, darunter ganze Silberschätze, Schmuckstücke aus unedlen Metallen wie beispielsweise Gewandnadeln. Moderne archäologische Methoden ermöglichen eine Neuinterpretation des vorhandenen Materials und genauere Angaben zur Datierung.

Unter den zutage geförderten Artefakten finden sich auch schriftliche

Valkyrien-Brosche, 9. Jh.© Nationalmuseum Dänemark

Valkyrien-Brosche, 9. Jh.© Nationalmuseum Dänemark

Aufzeichnungen. Die Skandinavier waren meist nur mit der Runenschrift vertraut. Sie benutzten sie üblicherweise für kurze Inschriften etwa auf Gedenksteinen, Eigennamen auf persönlichen Gegenständen, Graffiti und Zauberformeln. Schriftzüge auf Holzstücken dienten ganz unterschiedlichen Zwecken, beispielsweise als Kurzmitteilungen. All diese Zeugnisse geben uns faszinierende Einblicke in vielfältigste Themen bis hin zu wichtigen historischen Ereignissen wie Fahrten in ferne Länder, nach Grikland („Griechenland“, gemeint ist damit das Byzantinische Reich), Serkland („Land der Sarazenen“, also ein beliebiger Teil des Arabischen Kalifats, vermutlich auch des Kaukasus und Ostrusslands) und England, das manchen Skandinaviern damals vermutlich nicht minder exotisch erschien. Trotz der Fülle an Details vermitteln diese Stücke jedoch kein zusammenhängendes Geschichtsbild der Wikingerzeit.

Roskilde 6, Langschiff, das größte jemals entdeckte Wikingerschiff, 37 Meter lang, gebaut in Südnorwegen um 1025, absichtlich versenkt Mitte des 11. Jh. in Dänemark © Nationalmuseum Dänemark

Roskilde 6, Langschiff, das größte jemals entdeckte Wikingerschiff, 37 Meter lang, gebaut in Südnorwegen um 1025, absichtlich versenkt Mitte des 11. Jh. in Dänemark © Nationalmuseum Dänemark

Einen wichtigen Beitrag dazu leisten altnordische Sagas, die überwiegend in Island, partiell auch in Norwegen zusammengetragen wurden und in vielen Fällen historische Fakten enthalten. Probleme ergeben sich allerdings aus der Datierung sämtlicher Schriftstücke frühestens ins späte 12. Jahrhundert, also nach der Wikingerzeit. Auch augenfällige Anachronismen, märchenhafte Elemente innerhalb ansonsten offenbar historischer Schilderungen und das Bemühen der Autoren, die Geschichte interessant zu gestalten, führen dazu, dass die Quellen für die Wikingerzeit nur als eingeschränkt verlässlich gewertet werden können. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Schilderungen von Völkern hinzuzuziehen, die mit den Wikingern im Austausch standen. Wegweisend auf diesem Gebiet sind die Annalen und Chroniken aus Byzanz und der arabischen Welt, die uns den geschichtlichen Rahmen für unser Verständnis der Wikingerzeit vermitteln. Weniger ergiebig erweisen sich hier die Nachbarn der Skandinavier rings um die Ostsee, in Russland und Europa wie auch die Ureinwohner Nordamerikas, die mit dem Lesen und Schreiben oftmals nicht besser vertraut waren als die Wikinger selbst.

Axtkopf mit Silbereinlagen im Mammen-Stil, 9. Jh. © Nationalmuseum Dänemark

Axtkopf mit Silbereinlagen im Mammen-Stil, 9. Jh. © Nationalmuseum Dänemark

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Die Wikinger
Hrsg. von G. Williams, P. Pentz, M. Wemhoff
Hirmer Verlag € 39,90 Katalog zur Ausstellung 
im Martin-Gropius-Bau ab 10. September 2014