Die Sammlung Gurlitt

Otto Dix, Franz Marc, Emil Nolde, Paul Cézanne, Wassily Kandinsky oder Claude Monet - Alles Opfer des Kunstraubs?

No. 04/2017

Ein spannender Moment: Seit November 2017 bekommt die Öffentlichkeit erstmals einen großen Teil der Werke des „Gurlitt-Funds“ im Rahmen einer Doppelausstellung zu sehen. Nina Zimmer (NZ), die Direktorin des Kunstmuseums Bern, und Rein Wolfs (RW), der Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn, stehen in einem exklusiven Interview Rede und Antwort.

Claude Monet, Waterloo Bridge, 1903, Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014

Welche Werke werden in Bonn ausgestellt, welche in Bern? Und nach welchen Kriterien haben Sie ausgewählt?

RW: Grob gesagt werden in der Bundeskunsthalle die Werke gezeigt, die nicht komplett frei von Raubkunstverdacht sind – darunter sind solche, bei denen der Verdacht sich erhärtet hat oder noch erhärten könnte, aber auch solche, bei denen die Provenienz nie zweifelsfrei zu klären sein wird. Im Kunstmuseum Bern werden schwerpunktmäßig jene Werke gezeigt, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert und aus diesem Grund aus deutschen Museen entfernt wurden.

Gewähren Sie uns bitte einen Blick hinter die Kulissen: Was war noch zu tun bis zur Ausstellungseröffnung?

NZ: Die Restauratoren arbeiteten an der Konservierung der Berner Exponate, damit diese ausgestellt werdenonnten. Letzte Anfragen für historische Dokumente wurden gestellt, die Ausstellungstexte redigiert und der Katalog musste in den Druck gehen. Parallel bereiteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kunstvermittlung Führungen und Workshops für verschiedene Besuchergruppen vor, die Texte für den Audioguide wurden verfasst und vertont. Währenddessen liefen in der Pressestelle bereits die Telefone heiß.

Die Liste der Werke ist beeindruckend, alle großen Namen scheinen versammelt zu sein. Gibt es Schwerpunkte? Welche Werke gehören zu den größten Überraschungen?

NZ: Die Schwerpunkte spiegeln Hildebrand Gurlitts Sammlervorlieben wider: Mit umfangreichen Konvoluten  sind insbesondere die expressionistischen Künstler und die Vertreter der Dresdner Moderne repräsentiert. Überraschend und beeindruckend sind die Farbintensität und die Frische dieser Arbeiten, insbesondere der Aquarelle.

„Restitution“, also die Rückgabe geraubter Werke an ihre Besitzer, ist ein international brennendes Thema. Wie kann man sich die Suche nach den Eigentümern bzw. Erben konkret vorstellen? Gibt es viele Anfragen an Sie, oder  kontaktiert Ihr Team mögliche Besitzer?

RW: Diese Fragen werden im Projekt Provenienzrecherche Gurlitt im Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg bearbeitet. Dort wird sogenannten „Claims“, also Anfragen von möglichen Erben, nachgegangen und sie werden auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft.

Bestandsaufnahme Gurlitt lautet der Titel beider Ausstellungen – wohltuend nach den sensationsheischenden Nachrichten in vielen Medien. Kommt nach dem mehrjährigen Kunstkrimi jetzt die sachliche Auseinandersetzung zum Zug?

RW: Wir suchen nach einer reflektierten Auseinandersetzung mit diesem komplexen Themenfeld, auf der Basis von sorgfältig recherchierten Informationen und unter Berücksichtigung des gesamten historischen Kontextes. Eine Ausstellung kann dies natürlich nur bedingt leisten, da zum einen der Raum begrenzt ist. Zum anderen ist es so, dass die Ausstellung mit ihren primären Medien – Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen – nicht nur Fakten liefert, sondern eben in erster Linie auch Kunst zeigt. Und die kann nun einmal niemals nur sachlich sein.

„Ich habe nur mit meinen Bildern leben wollen, in Frieden und Ruhe“, hat Cornelius Gurlitt gesagt. Viel ist inzwischen passiert, nun werden die Bilder der Öffentlichkeit präsentiert. Muss die Kunstgeschichte umgeschrieben werden?

NZ: Die Kunstgeschichte ist kein starres System, sondern veränderbar – das zeigen gerade die Herausforderungen, die globale Perspektiven stellen. Der „Kunstfund Gurlitt“ könnte eine Chance sein, die Fixierung auf Meisterwerke und Künstlermarken aufzubrechen und das Interesse der Museumsbesucherinnen und -besucher auf die Bedeutung und den Wert jedes einzelnen Werks zu lenken.

Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand hat die ca. 1500 Kunstwerke zusammengetragen. Wird er als vielschichtiger Akteur während der NS-Zeit ein Schwerpunkt sein?

RW: Die Person Hildebrand Gurlitt, seine Biografie und seine konkrete Rolle als Kunsthändler in Hitlers „Sonderauftrag Linz“ werden in der Ausstellung immer wieder kritisch beleuchtet. Auch sein Wirken und seine Funktion vor und nach dem Zweiten Weltkrieg werden thematisiert und hinterfragt. Die Frage, wie Hildebrand Gurlitt in den Besitz der Werke gelangt ist, steht dabei immer wieder im Zentrum. Sie ist von entscheidender Bedeutung, wenn man die Vorgänge historisch, kunsthistorisch – und letztlich auch moralisch – beurteilen möchte.

Was unterscheidet diese Ausstellung – mit all ihren politischen, juristischen und moralischen Fallstricken – von anderen Projekten?

NZ: Gerade diese politischen, juristischen und ethischen Herausforderungen sind es, die die Ausstellung von anderen Projekten unterscheidet. Auch wenn es für Kunstausstellungen eher ungewöhnlich ist, die historischen Kontexte so stark zu machen, sehe ich darin eine Bereicherung, da die Vielschichtigkeit von Kunstwerken betont wird.

Zu den Ausstellungen erscheint ein gemeinsamer, großformatig bebilderter Katalog mit umfassenden Texten. Was bietet der Band über die Ausstellungen hinaus?

RW: Das Begleitbuch zu den beiden Ausstellungen spiegelt die aktuellen Forschungsergebnisse zum „Kunstfund Gurlitt“ wider und verortet die Aktivitäten Hildebrand Gurlitts in einem breiten historischen Kontext. Somit entwirft der Band auch ein Zeitbild und erzählt von menschlichen Schicksalen, die sich hinter den Kunstwerken verbergen. Wir sind sehr glücklich, dass wir für die Textbeiträge hoch kompetente Autorinnen und Autoren gewinnen konnten.

Zum Abschluss: Was ist Ihnen persönlich an dieser Ausstellung wichtig?

RW: Es ist ungemein wichtig, dass dieses Kapitel der deutschen – und letztlich europäischen – Geschichte und Kunstgeschichte nicht in Vergessenheit gerät. Wie wir bei der Arbeit an diesem Projekt bemerken, ist längst noch nicht alles aufgeklärt. Wir versuchen, einem hohen Anspruch von Transparenz gerecht zu werden, in einem Themenfeld, das leider mit großer Intransparenz aufwartet. Wir können die Geschichte natürlich nicht zurückdrehen, aber es ist von immenser Bedeutung, weiter zu forschen, zu dokumentieren und die richtigen Schlüsse aus den Erkenntnissen zu ziehen. Darin besteht die historische Verantwortung der nachfolgenden Generationen: hinzusehen und wachsam, ja sensibel zu sein für die Zeichen der Zeit.

Cover für Bestandsaufnahme GurlittBestandsaufnahme Gurlitt
Bis 4. März 2018
Kunstmuseum Bern
Bis 11. März 2018
Bundeskunsthalle Bonn
Herbst 2018
Martin-Gropius-Bau, Berlin
Katalog zur Ausstellung
Hirmer Verlag € 29,90