Exklusiv

Interview mit Lauren Groff

No. 03/2016

Exklusiv für Fresko traf Kurt Haderer die Autorin Lauren Groff und sprach mit ihr über Vorbilder, Europa und Amerika und ihren neuesten Roman Licht und Zorn, der jüngst im Carl Hanser Verlag erschien.

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Lauren Groff © Megan Brown

Lauren Groff © Megan Brown

Haben Sie literarische Vorbilder?

Ja. George Eliot. Für Licht und Zorn habe ich mich an Thomas Mann und Jane Gardam orientiert. Aber was das Platonische betri“t, so gibt es viele, an denen mein Herz hängt. W.G. Sebald und sein melancholischer Ton. Charles Dickens, den ich verehre. Auch wenn er ab und zu mal zu sentimental wird. Aber er hat halt dieses Gespür, den Leser beglücken zu können.

Hätten Sie gern im 19. Jahrhundert gelebt?

Nein. Da würde mir das Moderne fehlen. Ich bin froh, in diesem Jahrhundert zu leben. So können wir auf eine riesige Ansammlung von Geschichten zurückblicken. Und man kann davon stibitzen.

Auch für Licht und Zorn?

Ja. Ich habe für den ersten Teil des Romans verschiedene Erzähltechniken eingesetzt. Diesbezüglich kann man sich in der Literaturgeschichte gut bedienen. (lacht)

In einigen amerikanischen Kritiken wird ihnen ein „Fitzgerald- Touch“ angehängt.

Das ehrt mich. Ich mag seine Bücher. Obwohl ich mich nicht von ihm beeinflusst fühle.

Kann es passieren, dass Sie der Stil eines „verehrten“ Autoren unbewusst beim Schreiben beeinflusst?

Natürlich. Deshalb liest man ja Bücher. (lacht) Für Licht und Zorn habe ich Jahre gebraucht. Und wenn mich der Stil eines Kollegen anmacht, dann lese ich die Bücher immer wieder und lasse es zu, wenn es mein Schreiben beeinflusst.

Wie ist die Situation schreibender Frauen heute?

Unsere Gesellschaft ist sexistisch geprägt. Es ist offenkundig, dass die Mehrzahl der Männer nur Bücher von Männern liest. Und stolz darauf ist. Letztens war ich bei einer Diskussionsrunde eingeladen. Fünf Männer und ich. Einer von ihnen, ein sehr erfolgreicher Romancier, verkündete stolz, dass er prinzipiell keine Bücher von Frauen liest.

Hawthorne meinte vor ungefähr 200 Jahren „dass Autorinnen ein ver“uchter Haufen rumkritzelnder Weiber wären.“ Es hat sich also am Konkurrenzneid nichts geändert?

Gar nichts. Schon ein weiblicher Vorname bedeutet auf dem anglosächsischen Buchmarkt 50 Prozent weniger verkaufte Bücher. Und die andere Hälfte ist auch Schriftstellerinnen gegenüber eher skeptisch eingestellt. Seit Jahren müssen Frauen diese Hürden nehmen, um ernst genommen zu werden. Wenn du so was sagst, dann heißt es immer wieder: „Stimmt ja gar nicht.“ Schauen Sie, in den Preisverleihungskommissionen sitzen fast nur Männer, und die Mehrzahl der Kritiken werden auch von ihnen geschrieben. Ich mag Männer. Ich habe selbst zwei wunderbare Söhne. Aber wir leben heutzutage in Amerika in einer sexistischen Gesellschaft.

Wie schätzen Sie die Situation der Autorinnen in Europa ein?

Dafür fehlt mir der Einblick. Aber wie viele Frauen haben den Nobelpreis bekommen? Wenige. Wie auch immer. Europa scheint mir im Vergleich zu den Staaten fortschrittlicher zu sein. Nicht so sexistisch.

Lotto, einer der Protagonisten in Licht und Zorn, ist Südstaatler. Gibt es im heutigen Amerika eine Feindseligkeit zwischen den Nord- und Süstaaten oder ist das nur Folklore? Folklore?

Folklore? Gewiß nicht. Ich komme von Upstate New York und lebe seit 10 Jahren in Florida. Und Florida ist so southern, southerner geht’s nicht. Viele meiner Freunde, vor allem die aus dem Norden, kriegen einen Hals, wenn man sie darauf anspricht. Und manche ihrer Vorurteile bewahrheiten sich auch. Denken Sie an all jene, die Trump unterstützen. Man denkt in den Südstaaten gern zunächst einmal an sich und dann an den Staat. Ich fühle mich aber weder als Northerner noch als Southerner. Ich verweile lieber und beobachte.

Was bedeutet das für die Figur „Lotto“?

Lotto ist aus dem tiefen Süden. Ich schrieb ihm seine Herkunft aus Florida auf den Leib. Weil er gut aussieht und fröhlich ist. Und weil er reich und groß ist. So groß wie Florida. (lacht) Und das Sonnige in seiner Erscheinung überstrahlt das Dunkle, das im Inneren verborgen ist. Seine Selbstwahrnehmung ist verzerrt. Er sieht sich größer und besser als er ist. So ausgestattet schlägt er in New York auf. Dort, wo man als Künstler zu sein hat. Mathilde, die ihn liebt, erkennt diese Spaltung zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung in ihm. Sie hilft ihm beim Austausch zwischen dem Süden und dem Norden, zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung. Sie wird seine Brücke und ebnet ihm so den Weg.

Urteilen europäische Kritiker eigentlich anders als amerikanische?

Ja. Die amerikanischen Rezensenten sehen uns als Unterhalter, während die europäischen uns eher als Intellektuelle betrachten. Aber langsam tut sich was. In den letzten 30 Jahren haben sich amerikanische Autoren dahingehend verändert, dass sie nicht nur einen guten plot drechseln können sondern nebenbei auch noch stilsicher geworden sind.

Das einzige, was Mark Twain während seiner Europa-Reise vermisst, war Seife. Was vermissen Sie?

Seife gibt’s hier wahrlich genug. (lacht) Ich vermisse eigentlich gar nichts. Ausser … die Sprachenvielfalt , die hier in Europa herrscht, die geht mir in Amerika schon ab. In Florida sprechen sie Englisch und Spanisch. Das war’s. Hier in Deutschland treffe ich einen Schriftsteller aus der Ukraine, der Deutsch, Englisch, Russisch und Ukrainisch spricht. Für ihn ist es nicht Besonderes, bei uns würde man gleich von einem Wunderkind sprechen. Ich mag Europa, weil durch die Sprachenvielfalt der Ideenaustausch angetrieben wird. Man könnte sagen, dass es bei uns eher schlichter abläuft, während ich hingegen hier mehr Anspruch vorfinde.

Was wird ihnen sofort auffallen, wenn Sie wieder in den Staaten sind?

Dass die Leute bei uns so isoliert leben. Ich spreche nicht von den Großstädten. Wenn du auf dem Land lebst und pausenlos dem Hass ausgesetzt bist, dann schwappt der irgendwann über und man poltert dann auch drauf los. Als Obama zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, saß ich neben einer älteren, reizenden Dame aus Florida im Flugzeug. Sie flog zum ersten Mal und war sichtlich aufgeregt. Plötzlich fragte sie mich, ob ich nicht, wenn ich die Gelegenheit hätte, Obama erschießen würde. Ich war baff und sagte ihr, dass ich auf niemanden eine Waffe richten würde. Ich merkte ihr an, dass sie gar nicht wusste, was sie da gefragt hatte. Sie hatte das Hassgerede einfach nicht hinterfragt. Und da war sie wieder: die kleine Insel des Hasses. Da zeigt Amerika seine hässliche Fratze. Denn irgendwann internalisiert man die Hasstiraden und es wird normal, feindselig zu sein.

Was macht man nun mit Donald Trump?

Von Anfang an machte man sich über ihn lustig. Doch dieser Mann scheint imprägniert zu sein. An ihm perlt alles ab. Es ist bizarr. Pausenlos werden im Fernsehen und im Radio Witze über ihn gemacht. Doch das scheint ihn und seine Unterstützer nicht zu jucken. Noch vor einem Jahr dachte ich, dass man ihn lächerlich machen sollte. Doch jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als zu hoffen, Trump mit der Wahrheit zu besiegen.

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