Fresko-Kunsträtsel

No. 02/2012

WER BIN ICH?

Ich war gerade 19 Jahre alt, als mir mein ältester Bruder nach dem Tod unseres Vaters unmissverständlich zu verstehen gab, dass zukünftig weder in seinem Haus noch in unserem Betrieb Platz für mich sei. Da bereits mein Vater und Großvater für die Regierung gearbeitet hatten, schickte ich auf gut Glück ein Bewerbungsschreiben an unseren Landesvater, der sich zu dieser Zeit in Frankreich aufhielt – nicht ganz freiwillig, aber das ist eine andere Geschichte. Meine etwas unkonventionelle Anfrage wurde wohlwollend geprüft, und ich zog für einige Zeit nach Paris. Dort erhielt ich auf Kosten meines Brotgebers eine exzellente Ausbildung zum Baumeister und Architekten. Mit der Schreibweise meines Nachnamens hatten die Franzosen Schwierigkeiten, was mich dazu bewog, fortan den Anfangsbuchstaben abzuändern. Nach einigen Jahren in der französischen Hauptstadt kehrte ich in meine Heimat zurück, um für den Landesvater zu arbeiten. Unbeeindruckt von der gähnenden Leere der Staatskasse ließ sich mein neuer Chef einen Prachtbau nach dem anderen errichten. Bereits vorhandene, eher bescheiden angelegte Bauwerke baute ich nach seinen Anweisungen um, richtete sie aufwändig ein und umgab sie mit einzigartigen Parkanlagen. Mein Einfluss wurde immer größer, bis ich schließlich mit gerade 28 Jahren zum wichtigsten Berater in personellen und ästhetischen Fragen aufstieg. Unter mir arbeiteten mehrere Werkstätten mit zahlreichen Künstlern und Handwerkern; Pferd und Wagen standen Tag und Nacht bereit, damit ich zu jeder Zeit die verschiedenen Baustellen inspizieren konnte. Doch die guten Zeiten waren vorüber, als mein Arbeitgeber starb und sein Sohn ihn beerbte. Plötzlich war mein Stil nicht mehr gefragt, und ich wurde in die Verwaltung abgeschoben. Die künstlerische Leitung übernahm ein Jüngerer, anscheinend Begabterer, der sich vor allem dem neuen, moderneren Baustil gegenüber aufgeschlossener zeigte. Meine Aufträge wurden immer rarer und unbedeutender, zu dem Prestigeverlust kamen auch drückende Geldsorgen hinzu. Als ich kurz nach meinem 58. Geburtstag starb und meiner Familie nichts als Schulden hinterließ, ahnte noch niemand, dass mein Name bis heute mit einem der am meisten besuchten Bauwerken Bayerns in einem Atemzug genannt wird –

Wer bin ich?

– Wer bin ich? –

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Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 01/2012: Carl Spitzweg (1808 –1885)