Der Sommelier der Kunstbücher

No. 04/2011

Im Gespräch mit Thomas Zuhr erzählt Willi Braunert von der Buchhandlung Werner in der Residenzpassage München, wie sein Geschäft funktioniert.

Interview mit Willi Braunert: „Wir leben von leidenschaftlichen Buchliebhabern“

Interview mit Willi Braunert: „Wir leben von
leidenschaftlichen Buchliebhabern“

Was kostet bei Ihnen eine Bibliothek? Mehr als eine Luxusküche in Edelstahl und Granit?

Natürlich sind den Kosten für eine Bibliothek nach oben keine Grenzen gesetzt. Allerdings möchte ich eher darauf hinaus, dass der Preis oftmals stark überschätzt ist. Einer meiner langjährigen Kunden, der sein Haus vom Keller bis zum Dach mit den schönsten Büchern der Welt gefüllt hat, betont, dass er dafür eben nur EIN Haus und KEINE Yacht besitzt. Ich bin auch in Kontakt mit den umliegenden Juwelieren und Uhrenhändlern und weiß, dass wir Zentner um Zentner Bücher liefern und damit nur einen Bruchteil dessen umsetzen, was so mancher unserer Kunden am Armgelenk trägt. Der Preis eines Buches ist über die Jahre eher gesunken, zum Teil ist das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht anders als inflationär günstig zu bezeichnen.

Zu welchen Themen werden von Ihnen ganze Wohnzimmer gefüllt?

In der Regel wächst eine Bibliothek ja über ein Leben lang. Wünscht ein Kunde eine komplette Bibliothek, gibt es natürlich verschiedene Gründe. Meist ist es ein Ferienhaus oder eine Zweitwohnung. Um dem neuen Domizil Leben einzuhauchen, besinnt man sich auf eine der vielen Qualitäten, die dem Buch zugeschrieben wird: einem Raum eine behagliche, lebendige Note zu verleihen. Manchmal sorgt schlicht und einfach auch der zuständige Interieur-Designer dafür, das Haus gleich mit der dazugehörigen Kompetenztapete und dem wohnlichen Flair der Bibliothek zu bestücken. Wie sehr das dann mit den tatsächlichen Interessen des Besitzers übereinstimmt, sei dahingestellt. Ein Verlag ist im Augenblick auf der gerade stattfi ndenden Kunstmesse in Dubai damit beschäftigt, arabischen Großinvestoren die „serienmäßige“ Ausstattung von Luxusimmobilien mit Bibliotheken schmackhaft zu machen. Damit ist die Bibliothek letztendlich vom Besitzer gelöst. Natürlich sind so etwas Ausnahmen, und wir leben von leidenschaftlichen Buchliebhabern, die ein reges Interesse an den Inhalten zeigen.

Gibt es Lieblingsthemen des Münchner Publikums?

Ohne das Münchner Publikum verallgemeinern zu wollen, sehen wir natürlich schon Trends, die sich vom Rest der Nation stark unterscheiden. Wir erfahren von sehr vielen Verlagen, dass sich bei uns oft Bücher in absolut erstaunlichen Stückzahlen verkaufen lassen, die etwa in Köln oder Berlin überhaupt keine Rolle spielen. Wir sind eine sehr traditionsreiche Buchhandlung, die seit 1876 das schöne Buch pfl egt und von jeher tief im Münchner Bildungs-bürgertum verankert ist und seinen angestammten Platz hat. Gewissermaßen der Dallmayr unter den Münchner Buchhandlungen. Ein Münchner Galerist machte mir vor kurzem ein Kompliment, über das ich mich sehr gefreut habe: Vergleichbare Buchhandlungen atmen oft den spröden Geist der Frankfurter Schule, unser Sortiment sei so sehr viel eleganter. Und tatsächlich drückt sich hier auch das typisch Bayrische, Süddeutsche, meinetwegen auch das katholische Element aus. Wir dürfen neben der hehren Kunst und der Wissenschaft auch ungeniert dem Luxus und allem Schönen frönen. Für mich hat es nie ein anderes Ziel gegeben, als diese Buchhandlung zu führen – hier kann ich in der Sortimentsgestaltung absolut aus dem Vollen schöpfen und gewissermaßen ein barockes Ideal leben. Die Kunden honorieren es, und auch viele Verlage wissen darum und manche legen auch Wert darauf, bei uns mit dem vollen Verlagsprogramm vertreten zu sein. Wir führen so zum Beispiel die Verlagsprogramme von Hirmer, Collection Heyne, Schirmer/Mosel. Besonders stolz sind wir darauf, seit diesem Jahr auch – als Bereicherung zu unserem Sortiment, das ja in erster Linie das illustrierte Buch pflegt – das komplette Programm des Beck-Verlages zu Geschichte und Kulturgeschichte zu führen. Um auf die Frage zurückzukommen: Klassische Kunst, Klassische Moderne, Interieur, immer wieder die schönen Orte wie Capri und die Côte d’Azur, ein Lebensgefühl zwischen Audrey Hepburn und Jackie Kennedy – wir können gar nicht genügend Bücher dazu bekommen. Und bei aller Liebe zur zeitgenössischen Kunst und obwohl auch diese ja in Münchner Galerien und Museen gut vertreten ist, bei unseren Buchverkäufen ist sie höchst marginal.

Verraten Sie uns neue Trends, die Sie bei Ihrem Publikum erkennen? Was ist heuer IN?

Auch dieses Jahr wurde das Rad nicht neu erfunden, die viel beschworene Renaissance der Renaissance ist bei uns ein Dauerzustand. Das Interesse daran ist ungebrochen stark. Aber die Resonanz auf die Gesichter der Renaissance-Ausstellung in Berlin hat uns doch überrascht. Erfreulich, dass auch dieses Jahr wieder die Ausstellungen mit den geschichtlichen Themen, man denke an Naumburg, auf so großes Interesse gestoßen sind.

Was sind Ihre persönlichen Favoriten in diesem Semester?

Mein Jahr ist sehr stark geprägt von einem längeren New York-Aufenthalt, und so sind es die zahlreichen Bücher, die 2011 über diese großartige Stadt erschienen sind. Die letzten Jahre über hatten wir sie stark vermisst. Besonders herausragend der Bildband von Yann Arthus-Bertrand mit den Luftbildaufnahmen der atemberaubenden Architekturen der Stadt. Dann bin ich seit einiger Zeit für afrikanische und ozeanische Kunst entbrannt. Ein Pflichttermin also der Besuch der Dogon-Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn.

Haben Sie eine eigene Bibliothek? Wie haben Sie diese zusammengestellt?

Wie habe ich sie zusammengestellt? Ohne System würde ihr nicht ganz gerecht. Durch mein Leben zieht sich ein roter Faden, den ich als meine buchhändlerische Qualität und den Schlüssel zu meinem Erfolg begreife: Eine nie nachlassende, brennende Neugier, die mich heute nicht wissen lässt, wofür ich morgen entfl ammt bin. Ich habe aber auch mit einem so breiten Spektrum zu tun, dass ich es mir nicht erlauben kann, mich auf wenige Themen zu kaprizieren. Der an Archäologie Interessierte erwartet ebenso ein kompetentes Gespräch über dieses Thema wie der junge Grafikdesigner, ich muss Bescheid wissen über Street Art, Information Design und Corporate Identity. Ich bin immer gerne gereist und habe den jeweiligen Genius Loci aufgesogen. Immer wieder Italien, Antike, Barock und Renaissance. Dann Frankreich mit all den mittelalterlichen Schätzen und der Kunst der Klassischen Moderne. Fahre ich nach Wien, kann mich Schiele und Klimt für den Rest des Jahres vereinnahmen, ist es Istanbul, nimmt mich die Islamische Kunst für lange Zeit in Beschlag. Und jetzt Amerika mit seiner Architektur, seinen großartigen Museen und dem faszinierenden Thema des Städtebaus.

Geben Sie Ihre Leidenschaft zu einem Thema auch weiter an Ihre Kunden?

Nichts ist schöner als das. Vielleicht mache ich manche Reise auch aus diesem Grund. Jede Reise sorgt für ungemein viel Gesprächsstoff mit unseren Kunden. Und das ist das Schönste an diesem Beruf. Leidenschaften zu teilen und manchmal auch zu wecken. Nur Wünsche zu erfüllen, ist die leichteste Übung, Wünsche zu wecken ist das Salz in der Suppe. Und die Freude daran, Kulturvermittler zu sein, erleichtert manche Härte des Berufs. Und derer gibt es zahlreiche im Einzelhandel.

Haben Sie Lieblingskunden? Kunden, die Ihnen viel Freude machen?

Viele Kunden sind über die Jahre zu Freunden geworden. Und hätten wir nicht so zahlreiche Stamm- und Lieblingskunden, es wäre manch-mal schwierig, sich die Liebe zur Menschheit zu bewahren. Wir sind uns in der Buchhandlung aber sehr bewusst, dass wir ein Leben im Elfenbeinturm führen dürfen. Wir pflegen den täglichen Umgang mit einem sehr kultivierten, interessierten, sehr individuellen Publikum. Für uns sind das beinahe 100% der Nation, in Wirklichkeit sind es aber vielleicht nur 2%. Herausragende Beispiele einer Buchhändlervita sind aber sicher der Hotelier, der mir vor 7 Jahren den Auftrag erteilte, Monat für Monat Bücher meiner Wahl für 2000 Euro zu liefern. Daraus ist eine sehr umfangreiche Bibliothek geworden, die nicht nur ihm von unschätzbarer Wichtigkeit ist, er eröff net auch seinen Gästen damit Welten und Räume, die diese als enormen Mehrwert und Bereicherung begreifen.

Gibt es Kunstkataloge zu Ausstellungen, die nicht in München stattfinden und trotzdem bei Ihnen nachgefragt werden?

Die Frage muss völlig anders gestellt werden, da Kataloge zu Münchner Ausstellungen so gut wie immer vor Ort im Museum gekauft werden und bei uns kaum eine Rolle spielen. Wohingegen sämtliche andere Ausstellungskataloge, vom kleinen Provinzmuseum bis zum Grand Palais, dem Metropolitan Museum und der National Gallery ein sehr wichtiges Standbein für uns sind.

Unsere Wege haben sich ja schon vor über 30 Jahren in Trostberg wegen der dortigen Clubszene gekreuzt. Was hat Sie letztlich in den Elfenbeinturm der Kunst und Kultur verschlagen?

Meine sehr persönliche Antwort: der Nimbus, der einst mit dem Beruf des Buchhändlers verbunden war, erschien mir immer überaus erstrebenswert. Auch aus dem Grund, damit die Bildung, die mir verwehrt war, auszugleichen und nachzuholen. Auch wenn das Ansehen des Berufs mittlerweile sehr stark verloren hat, für mich ist ein großer Traum in Erfüllung gegangen.

Stimmt es wirklich, dass die Jugend Ihre „Location“ mehr und mehr meidet?

Wir haben nach wie vor viele junge Kunden. Aber natürlich ist es auch ein Fakt, dass die Buchhandelsbranche in Bewegung ist, neue Buchhandlungen entstehen, die sich ausschließlich einem jungen Publikum zuwenden, die Jugend überaus internetaffin ist etc. Wir werden weiterhin unser Bestes darin geben, ein möglichst breites Spektrum in unseren Bereichen abzudecken.

Was muss passieren, damit das Publikum Sie überrollt? TV, Presse oder einfach nur die gute, alte Mundpropaganda?

Dass das Publikum uns überrollt – da helfen nur Wunder!