Architekt, Maler, Designer

Karl Friedrich Schinkel in München

No. 01/2013

Von Wilfried Rogasch

Schinkelstraßen gibt es in vielen Städten. Auch in München. Sie zweigt von der Berliner Straße ab, womit wir beim Ort des Geschehens wären.

1781 in Neuruppin geboren, zog Karl Friedrich Schinkel mit seiner verwitweten Mutter und vier Geschwistern 1794 nach Berlin, wo er das renommierte Gymnasium zum Grauen Kloster besuchte. Bis zu seinem Lebensende 1841 lebte und wirkte er in der Hauptstadt Preußens, die sich anschickte, die größte und wichtigste Stadt Deutschlands zu werden. Noch während der Schulzeit reifte in ihm der Wunsch, Architekt zu werden. Im Verlauf seines Lebens wurde er zum berühmtesten Architekten Deutschlands, doch nicht nur das: Gleichzeitig war er Innenarchitekt, Stadtplaner, Maler, Grafiker, Möbeldesigner, Bühnenbildner und Denkmalpfleger. Die Münchner haben jetzt Gelegenheit, in der Ausstellung Schinkel: Architekt – Maler – Designer das OEuvre des Tausendsassas zu besichtigen und mit dem einzig ebenbürtigen Werk von Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner in München zu vergleichen.

Eduard Gärtner, Die Bauakademie, 1868

Eduard Gärtner, Die Bauakademie, 1868

Konkurrenz mit Platzhirsch Klenze

„Spree-Athen“ und „Isar-Athen“ wetteiferten in der Epoche des Klassizismus um den Titel der bedeutendsten Kunstmetropole Deutschlands. In beiden Städten gab es Monarchen, die diesen Wettstreit mit ehrgeizigen Projekten beflügelten. Schinkel hat nie in München oder Bayern gebaut. Das lag daran, dass in München und Berlin Behörden bestanden, die hier wie dort alle staatlichen Bauprojekte ausführten. Schinkel hat München mehrere Male besucht und sich lobend über die Stadt und ihre Neubauten geäußert. Er hat auch an dem Wettbewerb zum Bau der Walhalla bei Regensburg teilgenommen, den aber der Platzhirsch Klenze gewann. Lediglich einmal wurde der Berliner Stararchitekt von einem Wittelsbacher aufgefordert, einen Entwurf zu liefern. Otto, der jüngere Sohn von König Ludwig I., war König von Griechenland geworden und hegte den Plan, auf der Akropolis in Athen einen Königspalast zu errichten. Schinkel sandte prompt die gewünschten gigantomanischen Entwürfe. Man kann nur froh sein, dass Griechenland schon damals wirtschaftlich desolat war: Das Projekt, das die antiken Bauten zur Staffage degradiert hätte, ist aus Geldmangel nie über die Planungsphase hinausgekommen. Stattdessen lieferte der omnipräsente Klenze die Entwürfe für eine vergleichsweise bescheidene Stadtresidenz am Syntagma-Platz, in der sich heute das griechische Parlament befindet.

Schinkel hatte sich auf seiner ersten Italienreise mit der antiken Baukunst der Römer und der Griechen vertraut gemacht. Am 1. Mai 1803 startete er die Reise zu den Sehnsuchtsorten aller gebildeten Zeitgenossen: Über Dresden, Prag und Wien führte die Route nach Triest und von dort über Venedig, Bologna, Florenz und Siena nach Rom. Wie es damals üblich war, verweilte er mehrere Monate in der Ewigen Stadt. Schinkel gewann hier die Freundschaft des preußischen Gesandten beim Heiligen Stuhl Wilhelm von Humboldt, der Schinkels Karriere befördern und ihm sieben Jahre später einen Posten in der preußischen Bauverwaltung verschaff en sollte. Die Bildungsreise führte Schinkel über Neapel nach Sizilien, welches er als Höhepunkt seiner Tour empfand. Wie andere Italienreisende versäumte es Schinkel nicht, auch den Vesuv und den Ätna zu besteigen. Nach einem zweiten Romaufenthalt erfolgte die Rückreise über Turin, Mailand und Lyon nach Paris, wo sich just Napoleon zum Kaiser der Franzosen gekrönt hatte. Kaum war Schinkel wieder in Berlin, begann Napoleon mit seinen Eroberungsfeldzügen gegen Österreich, Preußen und Russland. Der preußische Staat brach nach der Schlacht von Jena und Auerstedt 1806 zusammen. Preußen musste die harten Friedensbedingungen Napoleons akzeptieren und schied als Großmacht in Europa aus. Schinkel hielt sich mit kleinen Bauaufträgen und der Gestaltung von Panoramaansichten europäischer Städte sowie Landschaften auf Jahrmärkten über Wasser. Erst nach der endgültigen Niederlage des Franzosen und dem Wiener Kongress 1815 konnte man in Preußen wieder an neue Bauprojekte denken. Jetzt folgten die Aufträge in dichter Folge, jedoch wurden viele Entwürfe aus Gründen der Sparsamkeit vereinfacht gebaut. Zu den bekanntesten Bauten Schinkels, die bis heute das Berliner Stadtbild prägen, gehören die Neue Wache Unter den Linden, das Denkmal für die Befreiungskriege auf dem Kreuzberg, das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, das Alte Museum auf der Museumsinsel und die Friedrichswerdersche Kirche, heute das Schinkelmuseum. Geschichte und Poesie – der Untertitel, unter dem die Ausstellung zuvor in Berlin gastierte, steckt den Rahmen ab, in dem das Werk Schinkels in der Ausstellung betrachtet wird.

Gefühl und Natur – Verstand und Kultur

Die Baukunst wird in Schinkels Auffassung nur dadurch zur höheren Kunst, als sie Ausdruck von Ideen ist. Diese Ideen fasste er in die Begriffe des „Poetischen“ und des „Historischen“. Dies seien die beiden Faktoren, die über die rein technischen Aspekte der Funktion und Konstruktion eines Bauwerkes hinausgehen und dieses erst zum Kunstwerk und den Architekten zum Baukünstler erhöben. Das Poetische ist nach seinen Worten „die Bindung der menschlichen Gefühle an die Natur“; das Historische ist „die Bindung des Bewusstseins an die Entwicklung der menschlichen Kultur“: Gefühl und Natur, Verstand und Kultur bilden also die Voraussetzung für die Entstehung von Baukunst. Von Anfang an waren Zeichnung und Malerei für den Architekten Schinkel wichtige künstlerische Ausdrucksmittel. Hier zeigte er, wie er seine tatsächlich gebauten Werke ebenso wie die architektonischen Visionen gesehen und verstanden wissen wollte: als historisch, politisch und edukativ motivierte Denkmäler im öff entlichen Raum. Sein Verständnis von Kunst transformierte Schinkel auch in den Alltag, in das Kunsthandwerk. Für ihn galten hier die gleichen Qualitätsmaßstäbe. Die Wahl des jeweiligen Stils folgte nicht flüchtigen Moden, sondern war von der Frage nach dem Passenden, dem der Aufgabe in ihrer Zeit Angemessenen bestimmt.

Schinkel überlieferte seine Visionen in Bildern. Er entwarf Tableaus von Bauten inklusive ihrer Umgebung und Einbettung. Diesem Schema folgt auch die Ausstellung. Person und Werk des Künstlers werden in Form von thematischen Bildern präsentiert, die sich in ihrer Abfolge an der Biografie und Werkchronologie orientieren.

Abschließend zurück nach München: 1994 wurden hier die eigenhändigen Bildnisse von Schinkels Töchtern Marie und Susanne und seines Sohnes Karl versteigert. Sie gehören zu den schönsten Kinderbildnissen des frühen 19. Jahrhunderts. Die Kulturnation Deutschland hat es damals versäumt, die Bilder für das eigene kulturelle Erbe zu sichern. Stattdessen gelangten sie in den Besitz des Museums in St. Louis in Missouri in den USA. Dem Museum ist es zu danken, dass diese anrührenden Zeugnisse der Vaterliebe noch einmal für kurze Zeit in München zu sehen sind.

Architekt – Maler – Designer 
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München 
Bis 12. Mai 2013 
Katalogbuch zur Ausstellung Hirmer Verlag € 39,90