Van Gogh at Work

Das Atelier des Südens

No. 02/2013

Im Februar 1888 beschließt Vincent van Gogh, das hektische Paris zu verlassen und in die Provence zu ziehen. Sein Wunschtraum ist es, hier einen Künstlerverein zu gründen. Er mietet das „gelbe Haus“, lässt es renovieren und lädt seine Künstlerfreunde ein, darunter Paul Gauguin. Den Sommer über arbeitet van Gogh wie im Schaffensrausch – und wartet auf Gauguin.

DAS GELBE HAUS

„Nun, heute habe ich den rechten Flügel dieses Gebäudes gemietet, der 4 Zimmer umfasst, oder besser gesagt zwei mit zwei kleinen Nebenzimmern. Von außen ist es gelb bemalt, von innen weiß gekalkt, in der prallen Sonne, gemietet habe ich es für 15 Francs im Monat. Was ich mir wünschen würde, ist, ein Zimmer zu möblieren, und zwar im ersten Stock, um dort schlafen zu können. Das hier bleibt das Atelier, das Depot für die gesamte Dauer meiner Kampagne hier im Süden, und auf diese Weise bin ich erlöst von den Schikanen der Hotels, die mich ruinieren und deprimieren. […] Ich könnte zur Not auch zu zweit in dem neuen Atelier wohnen und würde es auch gern. Vielleicht kommt Gauguin in den Süden.“ Van Gogh hatte Paul Gauguin am Ende seiner Pariser Zeit kennengelernt, und seither hatten sie Briefe, Ideen und Bilder ausgetauscht. Er hoffte, mit Gauguin zusammenzuwohnen und so aus dem Haus ein „Atelier des Südens“ zu machen, wo auch andere Künstler Aufenthalt nehmen könnten. Er betrachtete die Anmietung des Hauses als ersten Schritt in Richtung eines wahrhaftigen Künstlervereins, eine Idee, die er und Theo in Paris mit verschiedenen Kollegen erörtert hatten. Etablierte wie Avantgardekünstler würden dem Verein Werke stiften, und der Erlös unter allen Mitgliedern verteilt werden. Dieses Kollektiv blieb eine Utopie, doch Theo förderte den Plan, Gauguin einzuladen, und willigte ein, auch zu dessen Lebensunterhalt beizutragen. Als Gauguin, der schon ein halbes Jahr in der Bretagne weilte, Anfang Juni 1888 die Einladung der Brüder nach Arles erhielt, reagierte er positiv, jedoch mochte er sich aufgrund seines Geldmangels sowie gesundheitlicher Beschwerden anfangs noch nicht festlegen. Später im Monat kündigte er sein Kommen an, aber es sollte noch bis Ende Oktober dauern, bevor es soweit war. Obwohl die Verzögerung van Gogh unruhig und ungeduldig machte, erlaubte sie es ihm auch, zuerst das gelbe Haus in Ordnung zu bringen. Van Gogh schlief noch immer im Hotel; am 7. Mai hatte er Carrel nach einer Auseinandersetzung verlassen und war in das Café de la Gare von Joseph und Marie Ginoux unweit des gelben Hauses an der Place Lamartine umgezogen.

MALEN IM MISTRAL

Vincent van Gogh, Kornfeld mit Krähen, 1890

Vincent van Gogh, Kornfeld mit Krähen, 1890

Beim Malen im Freien hatte van Gogh regelmäßig mit dem Mistral zu kämpfen. Der starke, kalte Wind, der in der Provence häufi g weht, verursachte Staubwolken und stieß seine Staffelei um. Für dieses Problem hatte er eine Lösung gefunden, die er seinem Künstlerfreund Bernard gegenüber für mitteilenswert befand: „Meine Staff elei war mit Eisenstäben im Boden fixiert, eine Methode, die ich dir empfehle. Man drückt die Füße der Staffelei in den Boden, und dann schlägt man daneben einen 50 Zentimeter langen Eisenstab ein. Man bindet das Ganze mit dem Seil fest, so kann man im Wind arbeiten.“ Aber durch das Flattern seiner Malerleinwand konnte er seine Pinselführung nicht gut kontrollieren, und Anfang Juli, als sehr viel Wind herrschte, beschloss er zu zeichnen, statt zu malen. Er kehrte zum Montmajour zurück und schuf dort in vier Tagen eine Serie von fünf Panoramen. Diese Zeichnungen stellen unbestritten einen Höhepunkt in seinem gezeichneten OEuvre dar und zeigen, dass er einen ganz eigenen Stil erlangt hatte. Seine Hoffnung, die Zeichnungen zu verkaufen, um mit dem Geld etwas zu Gauguins Reisekosten nach Arles beitragen zu können, erwies sich als vergeblich. Direkt im Anschluss an diese Montmajour-Serie begann van Gogh mit neuen Zeichnungen, diesmal nach Gemälden, die er in den zurückliegenden Monaten geschaff en hatte. In rund 20 Tagen machte er eine Gruppe von insgesamt gut 30 Zeichnungen für seine Freunde Russell und Bernard sowie für Theo. Mit den Zeichnungen für seinen Bruder hatte van Gogh ein bemerkenswertes Ziel vor Augen: Er wollte mit diesen Blättern einen Eindruck von der Linienführung in den Ölstudien vermitteln, die aufgrund des Mistrals etwas zu bewegt geraten war: „Dann kannst du besser sehen, was in den gemalten Studien an Zeichnung steckt. Ich habe dir schon erzählt, dass ich immer gegen den Mistral ankämpfen muss, der es absolut unmöglich macht, des Pinselstrichs Herr zu bleiben. Daher das ,Wilde‘ der Studien. […] Was würde Gauguin dazu sagen, wenn er hier wäre? Wäre er der Meinung, wir sollten uns einen geschützteren Ort suchen?“

WARTEN AUF GAUGUIN

Vincent van Gogh, Selbstporträt als Maler, 1887

Vincent van Gogh, Selbstporträt als Maler, 1887

Ab Mitte August 1888 arbeitete van Gogh hart an einer Gemäldeserie, die zur Ausschmückung seines Hauses gedacht war, darunter das Bild mit dem Titel Das gelbe Haus sowie Stillleben von Vasen mit Sonnenblumen. Ursprünglich sollten die Stillleben im Atelier hängen, doch dann bestimmte er sie für das Schlafzimmer Gauguins. Es sollte eine „Symphonie in Blau und Gelb“ werden. Schließlich malte van Gogh vier Versionen, von denen er zwei als gut genug für das Zimmer seines Freundes befand. Er war sehr zufrieden mit dieser Werkgruppe und meinte, sie sei nach ihrer Vollendung viel Geld wert. Als er Ende September noch mehr Sonnenblumen malen wollte, waren seine Motive schon verblüht, weshalb er den Plan zunächst fallenließ, um dann einige Monate später von den beiden besten Stillleben noch drei Kopien zu malen. Anfang September erhielt van Gogh zusätzliches Geld von Theo und konnte nun endlich Möbel und sonstige Einrichtungsgegenstände für das gelbe Haus kaufen, sodass er jetzt auch dort schlafen konnte. Um das Arbeiten an dunklen Wintertagen zu ermöglichen, ließ er im Erdgeschoss Gas installieren. Dazu berichtet er Theo: „Ich hab’ Gas ins Atelier und in die Küche legen lassen, was mich 25 Francs für die Installation kostet. Wenn Gauguin und ich vierzehn Tage lang jeden Abend arbeiten, haben wir es dann nicht zurückverdient?“ Auch Gauguin wurde kurz vor seiner Ankunft am 23. Oktober von dieser erfreulichen Neuigkeit unterrichtet. Auf dem Gemälde Das gelbe Haus ist zu sehen, dass die Straße zur Verlegung der Gasleitung aufgebrochen ist. In der zweiten Septemberhälfte kam es zu einem besonderen künstlerischen Austausch: Van Gogh schlug vor, dass Gauguin und Bernard, die zusammen in Pont-Aven weilten, sich im Tausch gegen Arbeiten von ihm gegenseitig porträtierten. Schließlich entschieden sich die beiden, Selbstbildnisse von sich zu malen, auf denen im Hintergrund das Porträt des jeweils anderen zu sehen war. Die Bilder sind beide schnell, dünn und matt gemalt. Van Gogh blieb durch Briefe und den Austausch von Werken darüber unterrichtet, was Gauguin und Bernard in der Bretagne schufen, während er ungeduldig darauf wartete, dass Gauguin endlich nach Arles käme.

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Textauszug aus: Van Gogh at Work Van Gogh Museum, Amsterdam 
Bis 12. Januar 2014 
Katalog zur Ausstellung hrsg. vom Van Gogh Museum, Amsterdam 
Hg. Marije Vellekoop
übersetzt von Rolf Erdorf und Bram Opstelten 
Hirmer Verlag € 49,90