Das nackte Leben

Werke der Londoner Schule

No. 03/2014

Von Wilfried Rogasch

Am 12. November 2013 verkaufte das Auktionshaus Christie’s in New York das Gemälde Drei Studien von Lucian Freud (Triptychon) des Malers Francis Bacon aus dem Jahr 1969 für die astronomische Summe von umgerechnet 106 Millionen Euro. Das ist der höchste Betrag, der jemals für ein Kunstwerk auf einer Auktion bezahlt wurde. Francis Bacon und Lucian Freud waren enge Malerfreunde und gelegentliche Rivalen, die einander mehrfach gemalt haben. Sie waren die Zentralgestirne einer größeren Gruppe von Malern, die man „Londoner Schule“ genannt hat. Etwa 120 Schlüsselwerke von 16 Künstlern dieser Gruppe sind ab dem 8.November im spektakulären Neubau des Westfälischen Landesmuseums Münster zu sehen. Für die Ausstellung Das nackte Leben. Bacon, Freud, Hockney und andere. Malerei in London 1950–80 haben die Kuratorinnen Catherine Lampert und Tanja Pirsig-Marshall Gemälde aus zahlreichen Museen und Privatsammlungen zusammengetragen.

Die Londoner Schule war kein enger, programmatischer Zusammenschluss von Künstlern wie etwa das Bauhaus, sondern ein lockeres Netzwerk von beruflichen und persönlichen Beziehungen. Gemeinsam war den Künstlern der Wohnsitz London. Einige wie David Hockney und Richard Hamilton sind oder waren Engländer, andere wie Lucian Freud, ein Enkel Sigmund Freuds, und Frank Auerbach stammten aus Deutschland, das sie als Juden auf Grund der Verfolgung durch das NS-Regime verlassen hatten. Das wichtigste Kennzeichen der Gruppe ist ihre Wertschätzung der figurativen Malerei in der Epoche nach 1945, die in der westlichen Welt von der abstrakten Kunst dominiert war. Auch der Glaube an die Bedeutung des menschlichen Individuums vereinte die Künstler. Daraus resultierte neben der Aktmalerei eine starke Hinwendung zur Porträtmalerei, die in Großbritannien bis heute eine große Rolle spielt: Professoren, Richter, Geistliche, Offiziere und Aristokraten lassen sich porträtieren und fügen sich als jüngstes Glied einer Kette in bestehende Porträtgalerien ein.

Der Mensch im Mittelpunkt

Als Auftakt der Ausstellung werden düstere Ansichten der von deutschen Bomben zerstörten Londoner City von David Bomberg und William Coldstream gezeigt. Es folgen Studien menschlicher Verletzbarkeit wie Bacons vielfach variiertes Bild von Papst Innozenz X. nach Velázquez, das mit einer Komposition von 1957 vertreten ist. Im selben Jahr entstand Bacons Aktstudie, die von dem verletzten Kindermädchen in Serge Eisensteins Film Panzerkreuzer Potemkin inspiriert ist.

Der Anteil der Londoner Schule an der Pop-Art wird durch Werke von Richard Hamilton, David Hockney und R.B. Kitaj aus den frühen 1960er Jahren eindrucksvoll belegt. Die Bedeutung der Kunstgeschichte für die Londoner Künstler bezeugt ihre Teilnahme an der Ausstellungsreihe The Artist’s Eye der Londoner Nationalgalerie in den 1950er und 1960er Jahren, in der sie eigene Werke mit denen der Sammlung kontrastierten.

Die Ausstellung gipfelt in den schonungslosen und kontroversen Gemälden der 1970er Jahre, in denen einige der Künstler ihre Hauptwerke geschaffen haben. Lucian Freuds Porträt seiner Mutter von 1973 zeigt erbarmungslos die Anzeichen von Alter und körperlichem Verfall, doch meint man auch die Liebe des Sohnes zu seiner Mutter zu spüren.

 

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Das nackte Leben. Bacon, Freud, Hockney und andere. Malerei in London 1950–80
Ab 8. November 2014 LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster
Katalog zur Ausstellung Hirmer Verlag € 39,90